110. Reichskanzler Fürst Bismarck und Generalfeldmarschall Moltke. 267
furt a. M. zu vertreten. Als ihn der König fragte, ob er den Posten
annehmen wolle, antwortete Bismarck: „Majestät können es ja mit mir
versuchen." Bismarck ging hin und blieb hier 8 Jahre, von 1851 1859.
Ec selbst bezeichnet diese Zeit als seine diplomatische Lehrzeit; aber schon
in dieser Lehrzeit hat er Preußen und Deutschland große Dienste geleistet.
Es gelang ihm in Frankfurt, die Übermacht Österreichs rn Deutschland
zu brechen, Preußen eine gleichberechtigte Stellung neben Österreich tnt
Bunde zu erringen und die kommenden Jahre vorzubereiten, m denen
es sich darum handeln mußte, die für die Einigung Deutschlands hinder-
liehe Macht Österreichs in Deutschland ganz zu beseitigen. Ein Zug aus
dem Leben Bismarcks in Frankfurt mag seine Schlagfertigkeit tm Auf¬
treten zeigen. Der Präsident des Bundestages, der österreichische Graf
Thun, der nichts versäumte, um Preußen herabzusetzen, empfing Bismarck,
als dieser ihn besuchte, in Hemdsärmeln, rauchte eine Zigarre und lud
ihn nicht einmal zum Sitzen ein. Schnell zieht Bismarck seinen Rock
aus, wirft ihn auf einen Stuhl und spricht: „Sie haben recht, Exzellenz,
es ist hier höllisch heiß" —, dann nimmt er seine Zigarrentasche heraus
und sagt: „Darf ich um ein wenig Feuer bitten, Exzellenz?" — worauf
ihm die Exzellenz ganz verblüfft Feuer gibt. Und nun setzt sich Bismarck
dem Grasen gegenüber und fängt ein Gespräch an, als wenn nichts vor¬
gefallen wäre. Seitdem behandelte Graf Thun den Gesandten Preußens
mit der größten Achtung. — Durch sein entschiedenes Eintreten für die
Sache Preußens hatte er sich aber doch viele Feinde zugezogen, so daß
es der König für geraten hielt, ihn eine Zeitlang auf einen andern
Posten zu stellen. Er wurde als Gesandter zuerst nach Petersburg,
dann nach Paris geschickt; hier sammelte er viele Erfahrungen, die ihm
später nützlich werden sollten.
2. Ministerpräsident und Bundeskanzler. Im Jahre 1862
berief ihn König Wilhelm I. zum Ministerpräsidenten. Mit seinem
Eintritt ins Ministerium begann für ihn eine Zeit der unermüdlichsten
Arbeit und oft der erbittertsten Kämpfe mit seinen Gegnern, denn das
Abgeordnetenhaus sah in ihm einen rückständigen „Junker" und empfing
ihn mit tiefem Mißtrauen. Die erste große Aufgabe, die König Wilhelm
ihm stellte, war die Umgestaltung des Heerwesens. Die über¬
wiegende Mehrheit des Abgeordnetenhauses stemmte sich mit aller Macht
dagegen. Aber Bismarck erkannte, von welcher ausschlaggebenden Bedeutung
für die Fortentwickelung Preußens und Deutschlands eine wohlaus-
gebildete und tüchtige Armee sei; er sagte schon damals: „Nicht mit
Reden werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern mit Blut
und Eisen!" — und so führte er die Umgestaltung des Heerwesens
durch. In den Kämpfen von 1864, 1866 und 1870/71 zeigte es sich
auch, wie recht er gehabt hatte. Ein Meisterstück weiser Umsicht und
tluger Berechnung war ferner die Lösung der schleswig-holsteinischen
Frage; mit Hilfe Österreichs gewann er beide Provinzen. Und dann
wurde Österreich selbst von Preußen besiegt. Damit war Österreich aus
Deutschland herausgedrängt; Bismarck hatte sein Ziel erreicht, Preußen
übernahm die Führung der deutschen Angelegenheiten. An die Stelle
des „Deutschen Bundes" trat 1867 der „Norddeutsche Bund", und