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nähme den Ansang zum Rückzüge des Staates in dem
großen Streite mit Rom bildete. Die veränderten Parteiver¬
hältnisse in den Parlamenten, wo Fürst Bismarck sich nicht
mehr auf die Liberalen zu stützen vermochte, veranlaßten in den
nächsten Jahren noch weitere und zwar sehr wesentliche Zuge¬
ständnisse an den bisher so entschieden bekämpften Gegner. Im
Frühjahr 1881 gestattete die Regierung die Wiederherstellung
einer bischöflichen Verwaltung in mehreren der erledigten
Sprengel, indem sie den von den Domkapiteln zu Bistumsver¬
wesern vorgeschlagenen oder vom Papste zu Bischöfen ernann¬
ten Personen die nachgesuchte Anerkennung erteilte und zugleich
für die betreffenden Diöcesen die Wirkungen des Sperrgesetzes
aufhob. _ Im folgenden Jahre ließ sie sich vom Landtage zur
Wiedereinsetzung der aus ihren Ämtern entfernten Bischöse und
zum Losspruch von den Bestimmungen über die Vorbildung der
Geistlichen ermächtigten, um von dieser Ermächtigung auch als¬
bald einen umfassenden Gebrauch zu machen, so daß es Ende
1884 nur noch wenige erledigte katholische Bistümer und Pfar¬
reien in Preußen gab. Jetzt zeigte auch der Papst eine gewisse
Neigung zur Nachgiebigkeit, die zum vollen Ausdruck kam, als
die deutsche Regierung ihn in einem Streite mit Spanien wegen
des Besitzrechtes der Karolineninseln zum Schiedsrichter anrief.
Er wies nunmehr die Bischöfe an, die für den Augenblick in
Pfarrämter einzusetzenden Persönlichkeiten der Staatsbehörde
anzuzeigen, und versprach die Anzeigepflicht auch für die Zu¬
kunft anzuerkennen, falls die „Maigesetze" in ihren Hauptpunk¬
ten aufgehoben würden. Die Bedingung wog schwer, aber der
Kaiser und Fürst Bismarck gestanden sie zu, und die Majori¬
tät der Volksvertretung widerstrebte ihnen nicht. Im Mai 1886
und im April 1887 wurden jene Gesetze dahin abgeändert, daß
die Erziehung des katholischen Klerus und die Strasgewalt über
denselben sür geistliche Vergehen nach wie vor der Kirche über¬
lassen blieb, und daß sämtliche Ordensgesellschaften, mit Aus¬
nahme der Jesuiten, wieder nach Preußen zurückkehren durften;
doch behielt der Staat ein Aufsichtsrecht über die geistlichen
Erziehungsanstalten sowie die Befugnis, neue Ordensnieder¬
lassungen zu genehmigen oder zu untersagen. So endete der
„Kulturkampf", wie man den langjährigen Kampf wider die
ultramontanen Bestrebungen nicht ohne Grund genannt hat,
mit einem Vergleiche, der die Macht der römischen Kirche nur
wenig beschränkte, immerhin aber dem Staate die Gewährung
einiger nicht unwichtigen Forderungen brachte.
Ungemein bedeutende Fortschritte hatte unter Wilhelm I
die innere Entwickelung unseres Vaterlandes zu verzeichnen. Die
Erweiterung des preußischen Staates und mehr noch die Zu-