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sichtlicher Nachfolger. Beide Brüder waren von Grund aus verschieden,
aber nie vergaß Prinz Wilhelm, daß es Sache seines Bruders war zu be¬
fehlen, die seinige zu gehorchen. Auch wo er gauz anderer Meinung war,
unterwarf er sich den Befehlen des Bruders unweigerlich und freudigen
Herzens.
c) Als die Märzrevolution 1848 ausbrach, wandte sich der Haß
des Pöbels hauptsächlich gegen den Prinzen Wilhelm. Man erzählte sich,
daß er ein Gegner jeder Verfassung sei und sich nach Potsdam begeben
habe, um auf eigene Hand Truppen zusammenzuziehen. Unter diesen
Umständen hielt es der König für angemessen, dem Bruder die Weisung
zu erteilen, sich nach Loudon zu begeben, um dem dortigen Hofe über die
letzten Vorkommnisse in Preußen zu berichten. Es war an seinem zwei¬
undfünfzigsten Geburtstage, als der Prinz mit schwerem Herzen in solcher
Zeit dem Vaterlande den Rücken wandte und die Reise nach London an¬
trat. Ende Mai 1848 kehrte er aus England zurück und verbrachte die
nächste Zeit in aller Stille ans seinem Schlosse Babelsberg bei Potsdam.
Im folgenden Jahre warf er mit preußischen Truppen die Ausstände in der
Pfalz und in Baden nieder. Seit 1850 residierte der Prinz als mili¬
tärischer Oberbefehlshaber von Rheinland und Westfalen in Koblenz. Im
Herbst des Jahres 1857 übernahm er für seinen schwer erkrankten Brnder
Friedrich Wilhelm IV. vertretungsweise die Regierung.
2. Die Thronbesteigung. Der Tod König Friedrich Wilhelms IV.
gab dem Prinzregenten die Krone. Mit großer Pracht fand am 18. Oktober
1861 in der Krönuugsstadt Preußens, in Königsberg, die Krönung statt,
zum ersten Male wieder, seit Preußen ein Königreich war. Vom Altare nahm
König Wilhelm die Krone und setzte sie sich anss Haupt mit dein Worte:
»Ich empfange diese Krone von Gottes Hand!" Einzig der Gnade Gottes
wollte er sie verdanken; war doch eine schlichte, tiefe Frömmigkeit der
Grundzug seines Wesens.
3. Die Umgestaltung des Heeres und der Kampf mit dem Land¬
tage. a) König Wilhelm war nicht immer mit den Regierungshandlungen
feines Bruders einverstanden gewesen; er war entschlossen, in manchen
Stücken eine „neue Ära" eintreten zu lassen, aber die Veränderungen sollten
durchaus ruhig und besonnen vor sich gehen. Deshalb betonte er in einer
Ansprache an das Staatsministerium, „daß von einem Bruche mit der
Vergangenheit nun und nimmer die Rede sein solle; es solle nur die sorg-
liche und bessernde Hand da angelegt werden, wo sich Willkürliches oder
gegen die Bedürfnisse der Zeit Laufendes zeige. Versprochenes müsse man
treu halten, ohne sich ber bessernden Hand dabei zn entschlagen; nicht Ver¬
sprochenes müsse man mutig verhinbern."
b) Wilhelms bringenber Wunsch war, Preußen unb Deutschlanb zu
größerer Macht unb höherem Ansehen in Europa zu erheben; er sah ober
auch ein und sprach es ans, daß dies nicht möglich sei ohne tiefgreifende
Verbesserung der preußischen Heereseinrichtungen. Zur Durchführung bcr