o Vorwort.
die Volkswohlfahrt (Landesschutz, Rechtsschutz, Wohlstand, Gesundheit, Bildung
und Seelenheil) gesorgt wird; gleichzeitig soll der Schüler erkennen, daß die
kulturgeschichtlichen Erscheinungen der Gegenwart geschichtlich geworden sind.
Die weitentlegenen Stoffe reichen im allgemeinen am wenigsten bis in
unsere Zeit, während die späteren Zeiten, namentlich seit dem Großen Kur¬
fürsten, mit der Gegenwart in lebendigem Zusammenhange stehen und deshalb
eingehender und in ununterbrochener Reihenfolge behandelt werden. Die bei
der Behandlung der kulturgeschichtlichen Stoffe naturgemäß viel und oft auf¬
tretenden Zahlen dienen lediglich Veranschaulichungs- und Vergleichungs¬
zwecken und werden selbstverständlich nicht memoriert. Die Verhältnisse der
Heimat müssen in erster Linie und ganz eingehend betrachtet werden. Es
kommt mir in erster Linie nicht auf die scheinbare Vollständigkeit und Lücken¬
losigkeit des volkswirtschaftlichen und politischen Wissens an — obgleich ander¬
seits gefordert werden muß, daß den Schülern ein bestimmtes Maß kultur¬
geschichtlicher Kenntnisse vermittelt werde -, sondern der Haupterfolg des
Unterrichts liegt in der Intensität des durch die Behandlung des Stoffes er¬
regten Interesses. In den einfachsten Schulverhältnissen wird der Lehrer diese
Stoffe nicht alle bewältigen können. Es ist ihm ein Leichtes, das für die Be¬
dürfnisse seiner Schule Geeignete auszuwählen. Das Mehr mag für entwickeltere
Schulverhältnisse und für besonders geförderte Klassen gelten. Der Verfasser
will hier nur Fingerzeige und dem denkenden Lehrer Anregung geben. Nicht
der unterrichtet im Geiste dieser Arbeit, der sich sklavisch daran bindet, sondern
der sie stuoiert und für seinen eigenen Unterricht frei verwendet. Ausschlag¬
gebend für die Berücksichtigung der kulturgeschichtlichen Stoffe sind in jedem
Falle das Bedürfnis und das Interesse. Um aber eine möglichst eingehende
Berücksichtigung der Kulturverhältnisse der Gegenwart zu ermöglichen, soll
man entweder einen späteren Ausgangspunkt für die Geschichtsbetrachtung
wählen oder die alte deutsche Geschichte kürzen (vgl. Absatz 3, Satz 1); keines-
falls dürfen die Kürzungen auf Kosten der Geschichte
der neuesten Zeit geschehen. Gegen das Ende der Schulzeit, etwa
im letzten Halbjahre und in einfachen Schulverhältnissen im letzten Viertel¬
jahre, wird der gelegentlich erarbeitete und ins Merkheft eingetragene kultur¬
geschichtliche Stoff im Zusammenhange wiederholt, ergänzt und zu einer
kleinen Staats- und Bürgerkunde systematisch zusammengefaßt.
Möge meine Arbeit dazu beitragen, daß der Geschichtsunterricht erreiche,
was er erreichen soll: nicht eine Überlastung des Gedächtnisses mit kaltem
Wissen, sondern eine durch Schauen und Denken gewonnene Einsicht in den
Werdegang und das Leben des deutschen Volkes, Stärkung des Willens und
Veredelung des Gemüts. Ein Geschichtsunterricht, so betrieben, steht im
Dienste echter staatsbürgerlicher Erziehung.
Elberfeld, im Christmonat 1910.
M. Reiniger.