t"'° Das deutsche Volksleben am Ende des 18. Jahrhunderts.
Wir erinnern uns der väterlichen Fürsorge des Großen Kurfürsten. Bessere,
freundlichere Bilder waren es, die dem Reisenden entgegentraten, wenn er
sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts einer brandenburgischen Stadt näherte.
^Allenthalben regten sich fleißige und geschäftige Hände. Nicht umsonst waren
des Großen Kurfürsten Bemühungen um die Förderung der Wohlfahrt der
Bürger. (Vgl. Seite 97). Während des siebenjährigen Krieges stockte das
gewerbliche Leben in den preußischen Städten. Die Bürger hatten den
größten Teil der Kriegslasten und Kriegskosten zu tragen, und ihr Wohlstand
ging dabei zurück. Friedrich der Große aber arbeitete nach dem Hubertus-
Lurger Frieden mit Kraft und Umsicht, die Wunden des Krieges zu heilen.
Durch seine weise Fürsorge hat er den Städten den früheren Wohlstand nicht
nur wiedergegeben, sondern ihn beträchtlich vermehrt. Nachweis im einzelnen
4 Vergl. Seite 205, 206 u. 208). So blühten die Städte wieder empor; es
war mehr Ordnung hineingekommen, und auch ihr Äußeres hatte sich in
günstiger Weise verändert.
Überschrift?
Zusammenfassung: Schicksal und Entwicklung der Städte bis zum
Tode Friedrichs des Großen.
Welches Bild botMch nun dem Reisenden in den Städten dar?*)
Darbietung.
1. Wer in den ersten Jahren nach dem Tode Friedrichs des Großen die
Straßen einer mittelgroßen Stadt betrat, die er etwa im Jahre 1750 durch¬
schritten hatte, der mußte die größere Kraft ihrer Bewohner überall erkennen.
Noch standen die alten Mauern: aber die alten Stadttore waren gefallen.
Große Türen aus leichtem Gitterwerk zwischen den beiden Zollhäusern
schlossen die Stadt nach außen hin ab. Auch an anderen Stellen der
Mauer waren neue Pforten geöffnet. Die Stadt selbst war wesentlich
gewachsen; Vorstädte hatten sich auf jeder Landstraße an den alten Kern an¬
geschlossen. Die aus Fachwerk erbauten Scheunen, welche sonst hier vor den
Toren gestanden hatten, waren weiter hinausgeschoben worden. Recht freund¬
lich sah es in diesen Vorstädten aus. Der Wall um den Stadtgraben war
mit breitgegipfelten Bäumen bepflanzt. Reihen von Linden und Kastanien
zogen sich durch die neuen Stadtanlagen hindurch, und in ihrem Schatten
hielten die Städter allabendlich ihren Spaziergang. Hier tummelte sich tag*
über auch das Kindervolk. Auch die Gärten außerhalb der Stadtmauer
waren verschönert. Hier und dort spielte schon ein kleiner Springbrunnen
mit den goldenen und silbernen Kugeln. Viele neue Gebäude mit roten
Ziegeldächern erfreuten in den Vorstädten das Auge. Aber es gab darunter
auch Häuser, aus deren kleinen, in allen Regenbogenfarben schillernden Fen¬
stern das blasse, hagere Gesicht der Armut hervorlugte. „Aber es war doch
alles froh und frisch und weit geworden hier vor den Toren. Kutsch¬
wagen rollten auf der Landstraße hin und her; nicht gar fern von der Stadt
befand sich ein beliebter Vergnügungsort, zu welchem die geputzten Spazier¬
gänger wallten, Damen in eng anliegenden Kleidern mit gewaltigen Hüten
und großen Strickbeuteln, Herren in grünen und blauen Rocken und langen
*) O. Schwebel, deutsches Bürgertum, 1883.
G. Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, 4. Bd.
A. Böe, Kulturbilder aus Deutschlands Vergangenheit, 1904.