Der Ameisler.
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Anstatt sich in die Löcher zu verkriechen, eilt alles aus denselben her⸗
vor, so daß die Oberfläche des Haufens ganz schwarz wird, und ein
wildes Drängen und Wogen entsteht, wobei die wenigen Besonnenen
die große Masse nicht mehr zu beruhigen vermögen.
Der Ameisler reibt seine Hände noch mit Terpentin oder einem
anderen Ol ein, damit sie gegen die Ameisensäure gestählt sind;
dann erfaßl er seine Schaufel und reißt den seit Jahren mit un—
säglichem Fleiße kunstvoll aufgeführten Bau auseinander. Die Tier—
chen spritzen noch wehrhaft ihre scharfen Säfte gegen den Feind;
aber nun, in dem Greuel und Schreck der Zerstörung, wo diese
unter den Trümmern begraben, jene dem grellen Tage bloßgelegt,
andere verstümmelt, erdrückt sind — nun denken sie an nichts mehr
als an ihre Kinder, die Puppen. Jede stürzt sich auf eine Puppe,
um sie zu retten, zu verbergen; in den Trümmern der Stadt, das
wissen sie, sind sie nicht sicher, also fort, hinaus ins Freie, in den
Wald! Aber der Ameisler sputet sich, denn auch er will die Puppen
haben, und bevor diese verschleppt sind, tut er seinen Leinwandsad
auf und scharrt und stopft den ganzen Ameisenhaufen mit allem, was
drum und dran ist, in den Sach. Der Haufen ist gut bevölkert ge—
wesen, wohl an fünfundzwanzigtausend Puppen mag er in sich ge—
borgen haben — ein hoffnungsvolles Geschlecht, und jetzt im Sacke
des Räubers.
Der Ameisler bindet ihn zu, wirft ihn auf die Achsel, und indem
er selbst überall voll von Ameisen ist, eilt er mit der Brut weiter
durch Wald und Schlucht, um neuen Fang zu tun. Und findet er
wieder einen Haufen, so macht er's wie mit dem ersten, und die
Ameisen, große und kleine, schwarze und braune, samt ihren Puppen,
samt dem Nadelgefilze ihres Baues, samt ihren Harzkörnern und
Vorratskammern kommen zusammen in den Sach, bis er voll ist.
Der Ameisler sucht nun einen geschützten, sonnigen Anger. Dort
breitet er auf dem Rasen ein großes, weißes Tuch aus; am Saume
des Tuches ringsum legt er grünes Laubwerk, über das er dann
den Rand des Tuches zurüchschlägt. Nun öffnet er den Sack und
schüttet den ganzen Inhalt desselben mitten auf das Tuch. Einstweilen
hat nun der Ameisler nichts zu tun, er kann sich in den Schatten
des nahen Waldsaumes hinlegen, Brot und Speck aus dem Schnapp—
sack holen, auch Moschbeerbranntwein, wenn er solchen bei sich hat;
danach mag er sich eine Pfeife anzünden und guten Mutes sein.
Die Ameisen sind nun von der Qual ihrer Gefangenschaft, in der
es heftige Kämpfe unter ihnen gegeben hat, erlöst. Sie nehmen ihre
Freiheit wahr, aber auch die Gefahr, die sie noch immer bedroht; sie
eilen, laufen, rennen, um sich zurechtzufinden. Sie kommen an den