Full text: [Teil 1 = Kl. 8] (Teil 1 = Kl. 8)

74 
89. Das Kind unter den Wölfen. 
Von Friedrich Jacobs. 
Die Feierabende in Mainau. 1. Teil. (7. Abend.) Leipzig 1820. S. 127. 
Auf dem Riesengebirge lebte einmal eine arme Frau, 
die hatte ein kleines Kind und auch eine große 
Herde. Die Herde aber gehörte nicht der Frau, sondern 
sie hütete sie nur. Einmal saß sie mit ihrem Kinde in 
dem Walde und gab dem Kinde Brei aus dem Napfe, 
und die Kühe weideten unterdessen im Grase. In dem 
Walde aber waren böse Wölfe, und als die Kühe von 
dem Grase in den Wald gingen, wo es kühl war und 
auch viel Gras wuchs, dachte die Frau, der Wolf könnte 
kommen und könnte die Kühe fressen. Und da gab sie 
dem Kinde den Napf mit dem Brei und einen hölzernen 
Löffel dazu und sagte: „Da, Kindchen, nimm und iß; 
nimm aber den Löffel nicht zu voll.“ Und nun stand 
sie auf und ging in den Wald und wollte die Kühe her¬ 
austreiben. Wie nun das Kind so allein da saß und aß, 
kam eine große, große Wölfin aus dem Walde heraus 
gesprungen und gerade auf das Kind los und faßte es 
mit den Zähnen hinten an der Jacke und trug es in den 
Wald. Und da die Mutter wiederkam, war kein Kind 
mehr da, und der Napf lag auf der Erde, aber der Löffel 
lag nicht dabei: denn den hatte das Kind in der Hand 
festgehalten. Und wie das die Mutter sah, dachte sie 
gleich: „Das hat kein Mensch getan, sondern der Wolf,“ 
und lief in das Dorf und schrie entsetzlich, daß die Leute 
herauskämen. 
Unterdessen kam ein Bote durch den Wald gegangen, 
der hatte sich verirrt und wußte nicht, wo er war. Wie 
er so durch die Büsche geht und den Weg sucht, hört 
er etwas sprechen und denkt gleich: „Da müssen doch 
wohl Leute sein!“ Aus dem Gebüsch aber vernahm er 
die Worte: „Geh, oder ich geb’ dir eins!“ Und wie er 
nun das Gebüsch voneinander tut und sehen will, was 
es ist, sitzt ein Kindchen auf der Erde und sechs kleine
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.