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Domremh an der Maas in Lothringen geboren, wo ihr Vater Thi-
b a u t d' Arc, ein schlichter Bauer war. Unter Beschäftigungen ihres Stan-
des war Johanna (so hieß das Mädchen) heran gewachsen; man rühmte
2? Sanstmuth und Gottesfurcht, doch neigte sie sich zur Schwärmerei
Mit Schmerz erfuhr sie das Elend ihres Vaterlandes, die Moth der bedräng¬
ten Stadt Orleans und das Unglück des Königs Karl VII. Da wurde
sie immer stiller und stiller; sie lauschte aus jede Nachricht, stand oft zer¬
streut und in sich gekehrt da, und alle ihre Gedanken waren nur auf den
ritterlichen König gerichtet. Schlaflos lag sie oft auf ihrem Lager und dachte
nur daran, wie dem Vaterlande zu helfen sei. Mit dieser Sehnsucht nach
Besserung des Zustandes verbanden sich die frommen Gefühle ihres Her¬
zens, daß nur von Gott Hilfe zu hoffen sei. Diese Gefühle wurden so
mmg und lebendig, daß ihr himmlische Gestalten im Traume erschienen
von denen sie aufgefordert wurde, Orleans zu entsetzen und den
König Karl nach Rheims zur Krönung zu führen. Von diesem
Glauben getrieben, ging sie in das benachbarte Städtchen Vancouleurs
zu dem Befehlshaber Baudricourt, welcher sie zum Könige führte.
Dieser hielt sich damals im Schlosse Chinon auf, nicht weit von Orleans.
Er horchte hoch aus, als ihm der Ritter erzählte, wen er mitbringe und
welche Erscheinungen das Mädchen vorgebe.
Ohne Furcht trat sie hier vor den König und sprach in prophetischem
Tone: „Wohledler Dauphin: Mir ist vom Himmel der Austrag geworden
Eure Feinde von Orleans zu vertreiben und Euch nach Rheims zu führen."
— Obwohl sie nie vorher den König gesehen hatte, so soll sie ihn doch auf
der Stelle aus den Hofleuten, von denen er sich in der Kleidung nicht un¬
terschied, herausgefunden haben. Auch soll sie ein in einer benachbarten
Kirche befindliches Schwert, welches längst vergessen war, genau beschrieben
und dasselbe begehrt haben. Solche uud ähnliche Gerüchte verbreiteten sich
unter dem Volk. Der König aber behielt sie bei sich und ließ ihr gleich
eine Rüstung machen und eine weiße Fahne, auf welcher Gott mit einer
Weltkugel gemalt war. So zeigte er sie auf prachtvollem Streitrosse dem
Heere, welches ihr laut zujauchzte und begeistert zu den Waffen griff.
Wie sehr der feste Glaube au himmlischen Beistand aus ein Heer wirken
kamt, ist schon von der Eroberung von Jerusalem her bekannt, und dies
zeigte sich auch hier wieder. Es war urplötzlich ein ganz neuer Geist in
die Soldaten gefahren, und ungeduldig warteten sie auf das Zeichen zur
Schlacht. - Die erste Gelegenheit, wo das Mädchen ihren Muth beweisen
sollte, war ein Versuch, den der GrafDnnois machte, die halbverhunger¬
ten Einwohner von Orleans mit Lebensrnitteln zu versehen. Ein Hausen
Soldaten war versammelt, den Zug nach Orleans zu beschützen. Vorher
befahl die Jungfrau, daß alle Soldaten beichten müßten; dann führte sie
Zucht und Ordnung wieder ein. Jetzt schrieb sie an die Anführer der
Engländer, die vor Orleans standen, und befahl ihnen, sogleich die Bela¬
gerung aufzuheben und Frankreich zu verlassen. „Gebt heraus," ließ sie
ihnen sagen, „die Schlüssel von allen den Städten, die ihr bezwungen wider
göttliches Recht. Die Jungfrau kommt vom Könige des Himmels, euch
Frieden zu bieten oder blutigen Krieg. Wählt! denn das sage ich euch,
damit ihr's wißt: das schöne Frankreich ist nicht für euch befchieden!" —