116 
gefühl widersprach und manches, was mein Sittlichkeitsgefühl verletzte. 
»r künstlerisch Häßliches habe ich einfach verachtet, und bei Kunst— 
yvfungen, die niedere Regungen weckten, habe ich an den Apfel im 
Varadiese gedacht. Auch der war „schön anzusehen“, wie die hl. Schrift 
sagt, und doch hat er die ersten Menschen zu Falle gebracht. Es 
get also manches, was wirklich schön ist und doch in dem Menschenherzen, 
das nun einmal leichter zu niederen als zu höheren Genüssen neigt, unter 
Umständen großen Schaden anrichtet. Ich sage „unter Umständen“, denn 
die Reizbarkeit der Natur, die Art der Stimmung oder Gemüts— 
verfassung, die Festigkeit des Willens und Reinheit des Herzens sind eben 
sehr, sehr verschieden und je nach dem einen oder andern Umstande kann 
jemand durch ein solches Kunstwerk Schaden nehmen, sodaß es für ihn 
besser gewesen wäre, er hätte es nie gesehen. 
Du denkst vielleicht: Dann sollte man solche Kunstwerke gar nicht 
machen. Aber der verführerisch schöne Apfel im Paradiese war von Gott 
selbst gemacht, und du hast ja gehört, daß es von dem Menschen, der das 
Kunstwerk betrachtet, hauptsächlich abhängt, ob er sich dadurch zum 
Schlechten verführen läßt oder nicht. 
Wer also merkt, daß er noch nicht die sittliche Kraft besitzt, solch 
niedere Gefühle in sich zu unterdrücken, der schließe vorläufig sein Auge 
vor derlei Kunstwerken und öffne es umsomehr andern, für ihn unver— 
fänglichen Schönheiten, deren er genug finden wird, wenn es ihm nur 
ernstlich darum zu tun ist, wenn er, wie man sagt, „sich dafür interessiert“. 
l 
Dr. P. Funke. 
47. Kunst, Künstler, Kunstwerk. 
An einem sonnigen Frühlingstage sehen wir zwei Wanderer die 
Stadt verlassen, um gemächlich dem auf der Höhe gelegenen, benach— 
barten Dorfe zuzuschreiten. Der eine ist ein gereifter Mann, dem man 
bei einiger Menschenkenntnis unschwer den Künstler ansieht; der andere 
ist ein Jüngling und trägt an seiner Mütze das Abzeichen einer Gewerbe— 
schule. Es ist Onkel und Neffe. Der Sonnenschein auf den grünenden 
Auen, der Ausblick in die duftige Ferne, das geschäftige Treiben auf den 
Ackerfeldern, über dem allem die jubilierenden Lerchen in der blauen 
Luft: alles entzückt den jugendlichen Wanderer, so daß er begeistert aus— 
ruft: „Was ist doch alle Kunst neben solcher Natur! Welcher Maler kann 
mit seinem schönen Bilde diese Eindrücke hervorrufen? Alles Menschen— 
werk ist doch eigentlich Stümperei!“ — Der ältere Begleiter erwiderte:
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.