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gefühl widersprach und manches, was mein Sittlichkeitsgefühl verletzte.
»r künstlerisch Häßliches habe ich einfach verachtet, und bei Kunst—
yvfungen, die niedere Regungen weckten, habe ich an den Apfel im
Varadiese gedacht. Auch der war „schön anzusehen“, wie die hl. Schrift
sagt, und doch hat er die ersten Menschen zu Falle gebracht. Es
get also manches, was wirklich schön ist und doch in dem Menschenherzen,
das nun einmal leichter zu niederen als zu höheren Genüssen neigt, unter
Umständen großen Schaden anrichtet. Ich sage „unter Umständen“, denn
die Reizbarkeit der Natur, die Art der Stimmung oder Gemüts—
verfassung, die Festigkeit des Willens und Reinheit des Herzens sind eben
sehr, sehr verschieden und je nach dem einen oder andern Umstande kann
jemand durch ein solches Kunstwerk Schaden nehmen, sodaß es für ihn
besser gewesen wäre, er hätte es nie gesehen.
Du denkst vielleicht: Dann sollte man solche Kunstwerke gar nicht
machen. Aber der verführerisch schöne Apfel im Paradiese war von Gott
selbst gemacht, und du hast ja gehört, daß es von dem Menschen, der das
Kunstwerk betrachtet, hauptsächlich abhängt, ob er sich dadurch zum
Schlechten verführen läßt oder nicht.
Wer also merkt, daß er noch nicht die sittliche Kraft besitzt, solch
niedere Gefühle in sich zu unterdrücken, der schließe vorläufig sein Auge
vor derlei Kunstwerken und öffne es umsomehr andern, für ihn unver—
fänglichen Schönheiten, deren er genug finden wird, wenn es ihm nur
ernstlich darum zu tun ist, wenn er, wie man sagt, „sich dafür interessiert“.
l
Dr. P. Funke.
47. Kunst, Künstler, Kunstwerk.
An einem sonnigen Frühlingstage sehen wir zwei Wanderer die
Stadt verlassen, um gemächlich dem auf der Höhe gelegenen, benach—
barten Dorfe zuzuschreiten. Der eine ist ein gereifter Mann, dem man
bei einiger Menschenkenntnis unschwer den Künstler ansieht; der andere
ist ein Jüngling und trägt an seiner Mütze das Abzeichen einer Gewerbe—
schule. Es ist Onkel und Neffe. Der Sonnenschein auf den grünenden
Auen, der Ausblick in die duftige Ferne, das geschäftige Treiben auf den
Ackerfeldern, über dem allem die jubilierenden Lerchen in der blauen
Luft: alles entzückt den jugendlichen Wanderer, so daß er begeistert aus—
ruft: „Was ist doch alle Kunst neben solcher Natur! Welcher Maler kann
mit seinem schönen Bilde diese Eindrücke hervorrufen? Alles Menschen—
werk ist doch eigentlich Stümperei!“ — Der ältere Begleiter erwiderte: