Full text: Die Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

166 Zweiter Zeitraum des Mittelalters: 751-1096. 
als von Karl's des Kahlen drei Enkeln die beiden ältesten kurz nach ein¬ 
ander gestorben waren und nur ein fünfjähriger Knabe, Karl der Einfältige, 
ein nachgeborener Sohn Ludwig des Stammlers, übrig war, blieb den von den 
Normannen schwer bedrängten Westfranken nichts übrig, als den ostfränkischen 
Herrscher in's Land zu rufen. Mit Ausnahme der Provence, in welcher 
Boso sich behauptete, und der Bretagne, welche durch die Schwäche der 
westfränkischen Könige, unabhängig geblieben war, reichte Karl's III. Herr¬ 
schermacht jetzt gerade fo weit, wie die seines Großvaters, Ludwig's des 
Frommen. Aber bei den verschiedenartigen Interessen der von dem atlan¬ 
tischen Ocean bis zur Save, von der Elbemündung bis zum Ebro und zur 
Tiber zusammengehäuften und durch längere Trennung einander fremd ge¬ 
wordenen Länder brachte jede neue Krone dem (ursprünglichen) Schwaben¬ 
könige einen neuen Zuwachs von Gefahren und Schwierigkeiten und drohte 
seine Unfähigkeit immer stärker hervortreten zu lassen. 
Das unglückliche Neustrien, welches eben erst (Oct 884) nach unsäg¬ 
lichen Leiden die normannischen Freibeuter abgefunden, dann, als sie von 
Neuem drohten, sich schutzflehend dem Kaiser gleichsam zu Füßen geworfen 
hatte, sah dieselben Räuber, denen es seine letzten Schätze geopfert, mit un¬ 
gestillter Gier in der Mündung der Seine auftauchen (Juli 885) und auf 
700 größeren Schiffen, außer zahllosen kleineren Barken, ihre ganze Macht 
gegen das ihnen von früberen Besuchen her wohl bekannte Paris heran« 
wälzen. Die Stadt wurde zwar von Odo, dem Sohne Rodert's des Tapfern, 
Grafen von Paris, 10 Monate lang heldenmüthig vertheidigt und Karl III. 
erschien selbst mit einem gewaltigen Heere sowohl deutscher als französischer 
Zunge zum Entfatz der zugleich durch Hunger und Seuchen bedrängten 
Hauptstadt. Allein die Nachricht, daß ein neues zahlreiches Heer der Dänen 
in die Seine eingelaufen sei, um die Kräfte ihrer Landsleute zu verstärken, 
bewog den Kaiser, neben der Rücksicht auf die Nähe des Winters, einen 
Vertrag unter den schimpflichsten Bedingungen einzugehen: er bewilligte den 
Normannen wegen der vorgerückten Jahreszeit Winterquartiere in dem reichen 
Burgund, das noch nicht die Schrecknisse heidnischer Verheerung erfahren 
hatte; im nächsten März erst sollten sie dann, nach Empfang von 700 Pfund 
Silber als Lösegeld für Paris, Westfrancien gänzlich verlassen. So endete 
das letzte Unternehmen, in welchem sich noch einmal die Einheit des gefammten 
Frankenreiches unter einem Haupte darstellte. Die Normannen blieben im 
Schooße des Reiches, empfingen im nächsten Frühjahre die versprochenen 700 
Pfund Silber, machten aber durchaus keine Miene, nach der See aufzubrechen, 
sondern streiften nach verschiedenen Seiten (bis Troyes, Toul, Reims) hin, 
sich immer mehr im Innern des Reiches einnistend. 
Als Kart im November 887 eine Reichsversammlung nach Tribut entbot, 
vernahm er, daß sein Neffe Arnulf, Herzog von Kärnten, als das Haupt 
einer über das ganze Ostreich verbreiteten Verschwörung, an der Spitze eines
	        
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