44. Otto I., der Groß?. 1^7
Aber diese Wahl, die in gleicher Weise erfolgte, wie einst die König Heinrich's,
schien schon nicht mehr ganz den Verhältnissen des Reiches zu entsprechen,
und wohl Otto selbst verlangte nach einer vollständigem Anerkennung seiner
königlichen Stellung. Man bestimmte daher, zu Aachen, in der alten Kaiser¬
burg Karl's des Großen, sollten die Herzoge, Grafen und die vornehmsten
Reichsvasallen aus allen deutschen Ländern sich versammeln, um die getroffene
Wahl allgemein anzuerkennen und dem neuen Könige zu huldigen, der
dann nach altem Brauch gesalbt und gekrönt werden sollte.
Und so geschah es am 8. August des Jahres 936. In der Säulen¬
halle, welche die Kaiserpfalz mit dem Münster verband — beide hatte Karl
der Große erbauen lassen stand der Marmorstuhl Karl's des Großen,
der Erzthron des Reiches; hier versammelten sich die Großen aus allen
deutschen Landen, erhoben Otto auf den Thron und gelobten ihm unter
Handschlag Treue auf immerdar und Beistand gegen alle seine Widersacher.
So huldigten sie ihm nach alter Sitte auf fränkischer Erde als Karl's des
Großen Nachfolger und König der Franken. Nach der Huldigung begab
sich Otto, von den Herzogen, Grasen und Herren begleitet, in feierlichem
Zuge zum Munster. Der Erzbischof Hildebert von Mainz — der erst nach
langem Hader mit den Erzbischöfen von Köln und Trier das Recht der
Krönung erstritten hatte — mit allen Erzbischöfen, Bischöfen und Priestern,
die sich eingestellt hatten, empfing den jungen Könige und führte ihn bis in
die Mitte des Münsters, wo Kaiser Karl's Grabstein liegt und Otto von
allen Seiten erblickt werden konnte. Hier wandte er sich um und rief laut
zu dem Volke: „Sehet, ich führe euch Otto zu, den Gott zu eurem König
erwählt, König Heinrich bestimmt und alle Fürsten erhoben haben. Gefällt
euch solche Wahl, so erhebet eure Rechte zum Himmel!" Alle erhoben die
Hände, und donnernd hallte es in der Runde: „Heil und Segen dem neuen
Herrscher!" Daraus schritt der Erzbischof mit Otto bis zum Altare vor, wo
Schwert und Wehrgehenk, Mantel und Spangen, Scepter, Stab und Diadem,
die Zeichen der königlichen Würde, bereit lagen. Zuerst nahm er Schwert
und Wehrgehenk und sprach, zum König gewendet: „Nimm hin das Schwert
und triff damit alle Feinde des Herrn, Heiden und schlechte Christen, denn
darum hat dir Gottes Wille alle Gewalt über das Reich der Franken ver¬
liehen, daß die ganze Christenheit sichern Frieden gewinne." Und als er
ihm Scepter und Stab überreichte, sprach er: „An diesen Zeichen lerne, daß
du väterlich züchtigen sollst, die dir untergeben sind. Vor Allem aber,"
fuhr er fort, „strecke deine Hand aus voll Barmherzigkeit gegen die Diener
Gottes wie gegen die Witwen und Waisen, und nimmer versiege auf
deinem Haupte das Oel des Erbarmens, auf daß du hier und dort die unver¬
gängliche Krone zum Lohne empfangest." Mit diesen Worten nahm er das
Oelhorn, salbte ihn mit dem heiligen Oele, das die Kirche als ein Zeichen
der Barmherzigkeit ansieht, und setzte ihm unter Beihülfe des Erzbischofs
SUfuib von Köln das goldene Diätem auf das Haupt.