Full text: Die Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

68. Der erste Kreuzzug. 
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man dann in die Ebene hinunter, um den Lohn so vieler Beschwerden mit 
einer letzten Anstrengung dahinzunehmen. 
Die Kreuzfahrer umlagerten Jerusalem von drei Seiten her. Vor der 
nördlichen Mauer nahmen die beiden Roberte ihre Stellung, an sie schlossen 
sich der Westseite gegenüber Gottfried und Tankred an, den Rest der west¬ 
lichen und einen Theil der südlichen bis an den Fuß des Berges Zion er¬ 
füllten dann die Provenzalen. Die Ostseite der Stadt, wo jenseit des 
Baches Kidron und des Thales Josaphat der Oelberg sich erhebt, blieb un¬ 
besetzt. Am 13. Juni unternahm man den ersten Angriff auf die Stadt, 
mit enthusiastischem Muthe, aber mit Vernachlässigung aller Vorbereitungen. 
Unaufhaltsam drangen die Franken vor und einige Außenwerke wurden 
sogleich genommen. Nun aber stand man vor der innern höchsten Mauer, nur 
mit einer einzigen Leiter versehen; aber ohne Bedenken wurde sie angelegt 
und eine Anzahl Franzosen kletterte hinan. Doch bald sah man ein, daß 
auf solche Weise Jerusalem nicht zu erobern war und beschloß keinen Angriff 
weiter zu wagen, bis man die nöthigen Maschinen erbaut hatte, traf auch 
alle Anstalten zu diesem Zwecke, sah sich aber bald in zahlreiche Schwierig¬ 
keiten verwickelt. Zunächst stellte sich drückender Mangel an Lebensmitteln 
und Trinkwasser heraus; das Land um Jerusalem ist dürr und unfruchtbar. 
Der Bach Kidron war, wie es fast in jedem Sommer geschieht, ausge¬ 
trocknet. Dazu kam, daß die Saracenen in häufigen Ausfällen die Foura- 
girungen hinderten und die Gegend völlig verwüsteten. Noch schlimmer war, 
daß man kein Material für den Maschinenbau entdeckte; so weit man die 
Gegend umher durchspürte, fand man niedriges Gesträuch in Fülle, aber 
keinen Baum und keinen brauchbaren Stamm. Doch eine im Hafen von 
Joppe gelandete genuesische Flotte — dieselbe, die schon vor Antiochien so 
gute Dienste geleistet hatte, brachte Lebensmittel, Arbeitsgeräthe und tüchtige 
Werkmeister, die schnell in das Lager von Jerusalem geschafft wurden. Auch 
entdeckte man endlich in einiger Entfernung gewaltige Baumstämme, die zur 
Erbauung von Belagerungsthürmen dienten. Die Nachricht von dem Heran¬ 
nahen eines großen ägyptischen Heeres zum Entsätze von Jerusalem be¬ 
schleunigte den Beschluß, die Stadt zu bestürmen. Der erste Sturm geschah 
am 8. Juli 1099 an der Nordseite, aber ohne Erfolg, denn die Festungs¬ 
werke waren gerade an dieser Seite im besten Zustande. Daher wurden am 
9. die Maschinen auseinandergenommen, während der Nacht auf die Ost¬ 
seite hinübertragen und wieder zusammengesetzt. Erstaunt sahen die Mo¬ 
hammedaner beim Anbruche des Tages, daß des Herzogs Lager verschwunden 
war und wähnten, er sei davon gezogen; bald nachher entdeckten sie ihn aber 
mit dem Belagerungszeuge an der gefährlichen Stelle. 
Jetzt begann der Sturm. Zuerst schleuderten die Christen große Steine 
gegen di? Mauer; allein ihre Kraft ging an den Säcken voll Stroh und 
Spreu, an dem Flechtwerk und andern weichen Gegenständen verloren,
	        
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