Metadata: Die Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

82. Heinrich VI. 
401 
erschließt. Er sollte gar nicht gestorben, sondern nur auf lange Zeit der 
Welt entrückt seilt. Die Idee der Entrückung ist eine der germanischen 
Mythologie vorzüglich eigene, und am liebsten Pflegt sie unser Volksglaube 
so zu fassen, daß er die verschwundenen Personen oder Gegenstände in Berge 
versetzt, gleichsam die Erde zu deren Aufnahme sich öffnen läßt. Frau Holde 
und Frau Venus, Wodan und Siegfried hausen in Bergen. Diesen mythi¬ 
schen Persönlichkeiten reihen sich zwei historische an, die Kaiser Karl der 
Große und Friedrich I., welche die Sage so als die größten Herrscher Deutsch¬ 
lands bezeichnet. Bei Friedrich I. mußte zu dieser Verklärung insbesondere 
der Umstand Anlaß geben, daß er auf Nimmerwiedersehen in ein fernes 
Land zog und daß so bald nach seinem Tode schlimme Zeiten für das Reich 
hereinbrachen und die Sehnsucht nach einem kräftigen Kaiser wach riefen. 
So harrt die Sage noch immer seiner Wiederkehr. Im Kyffhäuser an der 
goldenen Aue in Thüringen, auf dessen Höhe sich einst eine kaiserliche Burg 
erhob, oder im Untersberg, dessen gewaltige Felsmassen zwischen Baiern 
und Salzburg getheilt sind, auch in einer großen Felshöhle bei Kaisers¬ 
lautern in der Pfalz schläft der alte Kaiser an steinernem Tische, sein rother 
Bart wächst um den Tisch herum; wenn er ihn dreimal umschlingt und wenn 
die Raben nicht mehr um den Berg fliegen, wird der Held auferstehen. *) 
82. Heinrich vi. 
(Nach Otto Abel, König Philipp ber Hohenstaufe, und Theodor Toeche, Kaiser- 
Heinrich VI., mit Zusätzen vom Herausgeber.) 
Durch den unerwarteten Tod Friedrich's I. lud das Schicksal plötzlich 
eine schwere Last auf die jungen Schultern König Heinrich's. Der aber 
fühlte die Kraft und den Beruf in sich, aus der festen Grundlage von feines 
Vaters Macht und Ruhm einen Bau aufzuführen, der den stolzen Namen 
des römischen Reiches zur Wahrheit machen sollte. Er wie kein anderer 
griff das Uebel unserer Zersplitterung in der Wurzel an. Wenn irgend 
Jemand, so hat er Anspruch darauf, nicht allein nach dem, was er 
vollMcht, beurtheilt zu werden, sondern nach dem, was er gewollt hat und 
nur durch einen frühzeitigen Tod durchzuführen verhindert worden ist. 
In einem schmächtigen, zartgebauten Körper von nur mittlerer Größe 
wohnte bei Heinrich ein gewaltiger Geist. Sein klarer, durchdringender 
Verstand spiegelte sich auf der hochgewölbten Stirn. Das hagere, farblose, 
allezeit ernste Gesicht verrieth die von immer neuen Sorgen und Entwürfen 
bewegte Seele. In feinen jüngeren Tagen hatte er wohl mit eingestimmt in 
*) Nach S. O. Riczler in den „Forschungen zur deutschen Geschichte". 
Pütz, Histor. Darstell, und Charakteristiken. II. 2. Aufl. 26
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.