106. Napoleon auf dem Gipfel seiner Macht. 687
die er für Geld ausstellte, sich selbst Ausnahmen von seinem strengen Con-
tinentalsystem erlaubte. Am meisten litt unter demselben Holland, daher
ermannte sich König Ludwig von Holland, nach wiederholten vergeblichen
Vorstellungen an seinen kaiserlichen Bruder, zu dem Entschlüsse, eine Krone
niederzulegen, die er mit Ehren und gutem Gewissen nicht länger tragen
konnte. Zu Anfang Juli 1810 dankte er ab, verließ Holland und lebte in
Graz als Graf St. Leu. Er kam damit nur seiner schon in Paris vorbe¬
reiteten Absetzung zuvor. Holland, das „ja ohnehin nur eine Anschwemmung
französischer Flüsse sei", ward nun dem Kaiserreiche und der sog. großen
Nation seiner unmittelbar Hörigen einverleibt.
Vier Monate später brachte der Moniteur ein Decret vom 12. Nov.,
das die Vereinigung von Wallis verfügte; denn Wallis habe keine der Ver¬
bindlichkeitenerfüllt, die es eingegangen, als Frankreich den Bau der Simplon-
Straße übernommen. Außerdem sei es wünschenswerth, der Anarchie ein
Ende zu machen, die das Land heimsuche. Bald ward der Eindruck dieses
Gewaltstreiches durch einen neuen, größer« überboten. Noch waren in
Niederdeutschland, nachdem Hannover (1810) mit Westfalen vereinigt war,
Oldenburg, die Hansestädte und einige kleinere Gebiete als Beute übrig;
Oldenburg gehörte schon zum Rheinbünde. Die Hansestädte (deren gemein¬
same Benennung an eine Zeit städtischer Größe erinnerte) empfanden sehr
drückend die auch über sie verhängte Handelssperre. Hamburg, das nicht allzu
gewissenhaft in Vollziehung der Sperrmaßregeln sein mochte, zog den beson¬
dern Unmuth Napoleon's aus sich. „Hamburg", hieß es, „muß wieder ein
Fischerdorf werden; es ist nichts als eine englische Colonie auf dem Fest¬
lande." Am 13. Dec. wurden nun außer Holland die niederdeutschen
Gebiete an der Nordsee „bis zur Elbe oberhalb des Ausflusses der
Strecknitz" (600 D-Metlen) für integrirende Theile des Reiches erklärt, in zehn
Departements eingetheilt und deren Organisation in den Grundzügen festge¬
stellt. Französische Verwaltung, Justiz, Steuerwesen, Gesetzgebung, Eon-
scription, Polizei sollten sofort darin eingeführt, die deutsche Sprache durste
bei amtlichen Geschäften neben der französischen gebraucht werden. Die Ver¬
einigung Hamburgs und Lübecks mit dem Kaiserreiche war eine förmliche
und ausdrückliche Verletzung der zu Tilsit geschlossenen Verträge, in denen
Napoleon sich verpflichtet hatte, die Elbe nicht zu überschreiten und den
Herzog von Oldenburg und dessen Gebiet nicht anzutasten. Diesem letztem
(dem Gemahl der Schwester von Alexander's I. Mutter) wurde die Wahl
gestellt, ob er seine bisherigen Besitzungen behalten, dann aber französische
Truppen in denselben dulden und unterhalten, oder eine Entschädigung '
(Erfurt und die Grafschaft Blankenhain) annehmen wolle. Mit welchem
Rechte Napoleon einem Verbündeten, der alle Bundespflichten getreu erfüllt
hatte, überhaupt ein solches Dilemma stellen konnte, darüber erklärte er sich
nicht; Napoleon's Recht verstand sich immer von selbst. Der in seinem