Full text: Die Geschichte der neuern Zeit (Bd. 3)

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Dritter Zeitraum: 1789—1815. 
Gefecht in die Hände der Franzosen geriethen. Aber Napoleon verhehlte sich 
nicht, daß das Ergebniß ein unvollkommenes sei. Zwar hatte er noch über 
20,000 M. frischer Kerntruppen, darunter die Garden, zur Verfügung: eine 
Macht, die ohne Zweifel hinreichte, die volle Entscheidung zu bringen. Es 
war sonst seine Weise nicht, solch einen letzten vernichtenden Schlag dem 
Gegner zu ersparen. Aber dieses Mal fehlte ihm die Kühnheit, die äußerste 
Kraft daranzusetzen. „Ich werde," soll er zu seiner Umgebung gesagt haben, 
„meine Garden nicht zertrümmern lassen; 800 Stunden von Frankreich weg, 
riskirt man nicht seine letzte Reserve." Die Opfer der Tages waren unge¬ 
heuer. Uber 80,000 Mann deckten todt oder verwundet das Schlachtfeld; 
Gefangene waren auf beiden Seiten wenige gemacht worden. Der Tod hatte 
namentlich unter den Führern eine reiche Aernte gehalten; bei den Franzosen 
waren 10 Generale getödtet und eine Menge verwundet worden. Zu allem 
dem stand das Ergebniß des blutigen Tages außer Verhältniß. Napoleon 
hatte zwar das Schlachtfeld behauptet. Moskau mußte ihm überlassen werden, 
und er glaubte in der alten Hauptstadt des Reiches ein sicheres Pfand des 
Friedens zu besitzen. Kutufow hatte bis zuletzt den Schein angenommen, 
dieselbe zu halten und dem Feinde einen neuen Kampf anzubieten. Aber 
es war im Kriegsrath schon beschlossen, sie preiszugeben, freilich nach den 
Siegesbulletins der letzten Tage für die Bewohner eine bittere Enttäuschung. 
In wilder Verzweiflung räumten sie die Stadt. 
Am 14. September begann der Einzug des französischen Heeres in die 
menschenleere Stadt; ein peinliches Gefühl überkam die Sieger, als sie nur 
öde Straßen fanden; daß man sich inmitten einer Brandstätte befand, ahnte 
man noch nicht. Auch als am Abend an einzelnen Stellen Feuer ausbrach 
und man vergeblich nach Löschanstalten suchte, schrieb man das auf Rech¬ 
nung des Zufalls: wie aber am 15. das Feuer um sich griff und bald über 
die ungeheure Stadt ein gewaltiges Flammenmeer hinwogte, da war keine 
Täuschung mehr möglich. In ohnmächtigem Grimme sprach Napoleon von 
Skythen, die nach Barbaren-Art ihre Kriege führten. Es war kein Zufall, 
sondern die That eines Einzigen, der sie auf eigene Verantwortung voll¬ 
brachte. Graf Rostoptschin, der Gouverneur von Moskau, ein ächter Russe, 
der unter der glatten Hülle abendländischer Formen die ganze Wildheit und 
Leidenschaft eines Barbaren barg, hatte, als Kutufow sich zurückzog, alle 
Maßregeln getroffen, das Ungeheure ins Werk zu fetzen. Er schasste die 
Vorräthe weg, zwang die Bewohner auszuwandern, ließ die Feuerspritzen weg¬ 
schaffen, das Zuchthaus öffnen und durch die Sträflinge den Brand anfachen, 
zu dem der Zündstoff planmäßig angehäuft war. So stand denn Moskau, 
die Stadt, die den Frieden bringen sollte, in lichten Flammen, welche zwei 
Drittthäle der Stadt in Asche legten. Diese Katastrophe löste die Bande 
der Disciplin in der französischen Armee; das Gebot, nicht zu plündern, 
übte keine Macht mehr, der jähe Umschlag von stolzen Siegeshoffnungen
	        
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