Full text: Die Geschichte des Alterthums (Bd. 1)

113. Die Nationalsage der Römer von der Gründung ihrer Stadt. 415 
Herrscher der Niederlassung begrüßt. Remus mußte jedoch zurückstehen, denn 
des Romulus Augurium war ein vorzüglicheres. 
Romulus läßt nun aus Etrurien Werkverständige kommen, und beginnt 
auf dem Palatinischen Berge den Bau der Stadt mit der Construction eines 
Templum, d. h. er spannte an einen Pflug einen weißen Stier und eine 
weiße Kuh und pflügte die Stadtmark ab. Die Götter Jupiter, Mars und 
Vesta ruft er um Gedeihen und Segen für die neue Stadt an; Blitzstrahl 
und Donner verheißen die Erfüllung des Erbetenen. Rasch erhebt sich unter 
den Händen der geschäftigen Bürger die Stadtmauer. Da brach das den 
Vorfahren schon so verderbliche Uebel der Herrschsucht über die Brüder her¬ 
ein. Remus konnte sein Unterliegen nicht verschmerzen und in trotzigem 
Spotte springt er, das schwache Bauwerk so verhöhnend, über die neue 
Mauer. Romulus, ergrimmt hierüber, erschlägt den Bruder mit eigener 
Hand. Um den Mord zu sühnen und das Andenken des gleich ihm zur 
Herrschaft in der neuen Stadt berechtigten Bruders zu ehren, führte er das 
fortan alljährlich zu feiernde, vom Bruder „Remuria" (Lemuria; am 9., 11., 
13. Mai) genannte Sühnefest für die Seelen verstorbener Verwandten ein, 
und trug zugleich doppelte Königsinsignien, indem er, gleich als ob Remus 
noch lebte, neben seinen eigenen Thron einen zweiten mit den Zeichen der 
königlichen Würde stellen ließ. Die nun rasch erstehende Stadt nannte Ro¬ 
mulus nach sich Roma und feierte am Feste der Göttin Pales (Palilia — 
21. April) ihren Gründungstag. 
In der kleinen, auf dem palatinifchen Berge gegründeten und mit einer 
Mauer umgebenen Stadt eröffnete Romulus in der Niederung zwischen den 
beiden Hügelspitzen des saturnischen Berges eine Freistätte (Asylum) für 
einen Jeden, der kommen und an der neuen Ansiedelung Theil nehmen 
wollte. Bald strömte von allen Seiten von den Nachbarstämmen eine bunte 
Menge, ohne Unterschied Freie und Sclaven, zusammen. Allein die reichen 
Nachbarstämme verschmähten,, den armen Römern, die nur wenige Husen un¬ 
bebauten Landes besaßen, ihre Töchter zur Ehe zu geben. Daher beschloß 
Romulus, da seine nur aus Männern bestehende Gemeinde bald wieder 
unterzugehen drohte, mit Gewalt der Waffen zu rauben, was man freiwillig 
zu geben sich so hartnäckig weigerte. Die Römer trafen große Vorrichtungen 
zu einem Festspiele zu Ehren des Deus Consus (Neptunus Equester) und 
luden hierzu die Nachbarstädte ein. Am bestimmten Tage strömten aus der 
Nähe viele Schaulustige, die besonders auch die neue Stadt zu sehen begierig 
waren, aus Eaenina, Erustumerium, Antemna und aus dem Sabinerlande 
mit Frauen und Kindern nach Rom. Da Plötzlich auf ein von Romulus 
gegebenes Zeichen stürzen die jungen Römer, während Aller Augen und 
Sinn auf das Festspiel gerichtet sind, über die in der Zuschauermenge be¬ 
findlichen Mädchen her und schleppen sie davon. Erschreckt und wehklagend, 
den Gott, dessen Spiele zu schauen sie gekommen waren, zum Zeugen und
	        
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