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§ 1. Kaiser Wilhelm II.
und auch von seinem Oheim, dem großen Reitergeneral Prinz Friedrich Karl,
dessen strenges Urteil in der Armee gefürchtet war, großes Lob erntete.
So wurde Prinz Wilhelm ein tüchtiger Soldat und Heerführer, wie
es von einem Hohenzoller ja nicht anders zu erwarten ist.
Aber auch die Verwaltung und Regierung des Landes lernte er
gründlich kennen. Täglich arbeitete er mit dem Oberpräsidenten von Branden¬
burg zusammen, nahm öfters teil an den Sitzungen des Kreis- und des
Provinziallandtages und ließ sich besonders durch den Reichskanzler,
Fürst Bismarck, in die Geschäfte der Regierung einweihen. — Wie sein Gro߬
vater, Kaiser Wilhelm I., besaß er schon als Prinz ein warmes Herz für die
Lage der ärmeren Volksschichten.
4. Kais er Wilhelms Thronbesteigung. Das Jahr 1888 wurde
für unfer Herrscherhaus und das ganze Vaterland ein rechtes Trauerjahr.
Der Vater des Prinzen Wilhelm, der Kronprinz Friedrich Wilhelm, der nach¬
malige Kaiser Friedrich III., war an einem unheilbaren Halsleiden erkrankt
und weilte fern in Italien. Dies schwere Geschick ging dem fast 91jährigen
Kaifer Wilhelm I. sehr nahe. Er erkrankte und starb am 9. März 1888, vom
ganzen Volke aufs schmerzlichste betrauert. Kaiser Friedrich kehrte nach Deutsch¬
land heim und trat die Regierung an. Aber die furchtbare Krankheit raffte
ihn schon nach 99 Tagen, am 15. Juni, dahin, und so stand unser Kaiser
Wilhelm II. schmerzerfüllt zum zweiten Male an der Totenbahre. — 29 Jahre
alt war er, als er den Thron seiner Väter bestieg. Durch die schweren Schick¬
sale war er in kurzer Zeit zu einem ernsten Manne geworden.
5. Seine Regierung. Bald nach seinem Regierungsantritte erließ
Kaiser Wilhelm II. mehrere Kundgebungen und hielt Ansprachen an die
Abgeordneten Deutschlands und Preußens. Er gelobte: „Ich will ein
gerechter und milder Fürst sein; den Armen und Bedrängten will ich helfen,
den Frieden schirmen und die Wohlfahrt des Landes fördern!"
Und dies Gelübde hat er gehalten. Er hat weite und sehr beschwerliche
Reisen unternommen nach Rußland, Schweden, Dänemark, Österreich, Italien,
England und selbst nach Athen und Konstantinopel, um all den fremden Fürsten
und ihren Unterthanen zu zeigen, daß er den Frieden wünscht. Überall
wurde er mit großen Festlichkeiten empfangen, und er erwarb sich Gunst bei
hoch und niedrig. — Aber unser Kaiser arbeitet auch fleißig an der Vervoll¬
kommnung des Heeres und der Kriegsflotte, damit beide immer kriegstüchtiger
werden und das Vaterland beschützen können, wenn es angegriffen werden
sollte. So sind die Waffen Verbessert und neues, raucharmes Pulver einge¬
führt worden. ■— Alljährlich nimmt der Kaiser teil an mehreren Manövern. —
Im Jahre 1890 schloß er mit der Königin von England einen Vertrag. Er
überließ ihr ferne Gebiete in Afrika und erhielt dafür die vor der Elbmündung
liegende deutsche Insel Helgoland, die feit 80 Jahren zu England gehörte.
Er sorgt aber auch unausgesetzt für den Frieden im Innern des Landes.
Mit allen Fürsten des Deutschen Reiches lebt Kaiser Wilhelm II. im besten
Einvernehmen. Sie waren zur ersten Eröffnung des Reichstages nach Berlin
geeilt, um aller Welt zu zeigen, daß sie einmütig stehen zu Kaiser und Reich.
Die von Wilhelm I. begonnene Gesetzgebung zu Gunsten des arbeitenden,
armen Volkes hat er thatkräftig fortgesetzt durch Erlaß des Alters- und
Invaliden-Pensionsgesetzes, so daß jetzt der kranke Arbeiter Arznei, Ver¬
pflegung und Krankengeld, der invalid (arbeitsunfähig) oder 70 Jahre alt ge¬
wordene Arbeiter seine Invaliden- oder Alterspension erhält. — Die Arbeit-