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dazu einladen. Diese erschienen auch sehr zahlreich mit ihren Frauen und Töchtern
und ergötzten sich am Spiele. Plötzlich fielen die bewaffneten römischen Jünglinge
über bte Jungfrauen her und trugen sie in ihre Wohnung. Die Sabiner aber ent¬
flohen. Nach einiger Zeit jedoch kamen sie vor Rom gezogen und forderten ihre
Töchter zurück. Während des Kampfes stürzten die jungen Sabinerinnen in
Trauerkleidern und mit fliegenden Haaren sich zwischen die Kämpfer und baten ihre
Gatten, doch ja nicht ihre Väter zu ermorden; ebenso flehten sie ihre Väter an
rhre Ehemänner zu verschonen. Da schlossen beide Parteien Frieden und bildetet!
fortan ein Volk.
18. Carqumius Superbus,
1. Grausamkeit. Auf den ersten König Roms, Romulus, folgten noch sechs
andere. Der letzte derselben hieß Tarquinius Superbus. Er hatte den Thron durch
Ermordung seines Vorgängers, der sein Schwiegervater war, eingenommen und ver¬
übte während seiner Regierung eine Menge von grausamen Gewaltthaten. Beson¬
ders aber haßten ihn die Römer deshalb, weil er ihre Rechte mit Füßen trat und
stets nach eigener Willkür regierte. So tötete er z. B. viele Senatoren oder ver¬
bannte dieselben, ohne ihre Stellen neu zu besetzen. Auch berief er die übrigen
Statoren gar nicht mehr zusammen. Dabei drückte er die Armen durch harte Fron-
dienste bei feinen Bauten (Kloake, Wasserleitung, Kapitol mit einem dreifachen Tem¬
pel) und die Reichen durch harte Abgaben. Wegen feines willkürlichen, stolzen Vor¬
gehens gab ihm das Volk den Beinamen Superbus, d. i. der Stolze. — Auch seine
eigenen Verwandten brachte Tarquinius ums Leben; nur einer, Iuuius Brutus, rettete
sich durch eine List vor ihm. Er stellte sich nämlich blödsinnig und wußte den König
so zu täuschen, daß dieser ihn nicht weiter beachtete, sondern ihn Brutus (d. i. den
Dummen) nannte.
2. Die sibyllinischen Bücher. Einst — so erzählt die Sage — kam ein hä߬
liches Wetb zu Tarquinius und bot ihm 9 Bücherrollen, die es bei sich trug, zum
Verkaufe an. Da aber die geforderte Summe dem Könige zu hoch schien, so wies
der König das Weib ab. Dic Alte warf 3 der Bücherrollen ins Feuer und bot dem
Könige die übrigen 6 für denselben Preis an. „Du bist wohl unklug," entgegnete
der König. Wiederum warf die Alte 3 Rollen ins Feuer und fragte dann den
König: „Willst du jetzt für die letzten 3 der Bücher denselben Preis geben wie für
die 9?" Der König, hierüber erstaunt, ließ die Auguren (Wahrsager) kommen und
fragte sie um Rat. Diese rieten dem Könige, die Bücher zu kaufen. Kein Preis
wäre zn hoch dafür. Das Weib erhielt die geforderte Summe, und die Bücher
wurden nun in einem Tempel unter der Obhut zweier Priester verwahrt. Sie ent¬
hielten eine Sammlung von Weissagungen der Sibyllen (prophetische Frauen), wes¬
halb sie bte sibyllinischen Bücher genannt wurden. Bei wichtigen Gelegenheiten schlug
man die Bücher auf, und die Stelle, auf die man zufällig traf, deutete man auf das
vorliegende Ereignis.
3. Vertreibung des Königs. 25 Jahre lang hat Tarquinius. seine tyrannische
Herrschaft über Rom ausgeübt. Da schlug für ihn die Stunde der Vergeltung.
Einstmals saßen die Söhne des Königs — so erzählt die Sage — während dieser
gerade eine Stadt belagerte, beim Mahle unb stritten mit ihrem Vetter Collatinns
darüber, wer bie beste Frau habe. Man beschloß, bte Frauen sofort zu besuchen unb
berjenigen ben Preis zuzuerkennen, welche bei ber besten Beschäftigung angetroffen
würbe. Da sanb sich's, daß bte Frauen ber Königsföhne beim üppigen Mahle saßen,
währenb bie Frau bes Collatinns — bie tugenbhafte Lukretia — mit ihren Mägben
noch tief in ber Nacht Wolle spann. Erfreut über bie Ankunft ihres Gemahls, be-