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§6. Der Lchiffsbrand.
gewann einen freien Durchzug und flog zu dem Feuer herüber; wild prasselte
die Flamme auf und leckte die Balken des Verdecks.
„Über Bord mit dem Rum und Branntwein!" schrie der Proviantmei-
ster außer sich und rollte ein Faß vor sich her, um es vom Verdeck aus über
Bord zu rollen. Kräftige Hilfe war zur Hand; es wurde ein Tau herabge¬
lassen und das Faß gehißt; das Tau war aber zu schwach, konnte die
angehängte Last nicht tragen und riß. Das Faß stürzte hinab und platzte
aus einander; glühende Brände fielen in das nach allen Seiten hin¬
strömende Feuerwasser, und brennende Wellen brachen sich an den Seitenbor¬
den des Zwischendecks.
Die Kunde des neuen Unglücks gelangte auf das Verdeck. Die Offiziere
wandten die erbleichenden Gesichter ab, der Kapitän aber schien allgegenwär¬
tig zu sein und munterte mit kräftigen, entschlossenen Worten die Leute zu
neuen Anstrengungen auf.
Längst waren die Segel festgemacht und das Schiff den Wellen über¬
lassen; überdies hatte auch der schwächste Windhauch aufgehört, und die Atmo¬
sphäre war unbeweglich. Der Mond schien klar und hell, und einzelne Sterne
blitzten freundlich auf die Unglücksstelle herab. Aber fern im Westen änderte
sich die Scene, und eine Wolkenmasse stieg aus der Tiefe des Meeres herauf.
Hätten die Leute noch auf irgend etwas anderes achten können, als auf die
Flammen, die in dem Innern des Schiffes wüteten, so würden sie gesehen
haben, daß sich ein zweites Element zu ihrem Untergange rüstete.
Zum Tode erschöpft, ließen die Matrosen die Arme hängen; die Offiziere
gingen von einem zum andern, feuerten sie durch ermutigende Worte an
und erquickten sie mit stärkendem Wein. Aufs neue begann die Arbeit, die
Verzweiflung verlieh ihnen übermenschliche Kräfte, und jeden Augenblick
dämmerte ihnen eine trügerische Hoffnung auf. Plötzlich aber sprangen mit
lautem Geprassel die Luken aus einander, die Flamme stieg riesengroß empor,
umarmte den Fockmast und ergriff die Takelage desselben, von der untersten
Webeleine bis zum Wimpel mit rasender Schnelle emporsteigend.
„Die Boote! Die Boote! Rettet die Boote!" lautete der allgemeine Ruf,
und alle ließen ab von den unnützen Löscharbeiten.
Kaum berührte das erste Boot den Wasserspiegel, und das zweite sollte
folgen, als die finsteren Wolken, die aus dem Abgrunde aufstiegen, den höch¬
sten Gipfel erreicht hatten. Ein lauter Donner hallte vorüber, ein zischender
Blitz riß das Gewölk aus einander, und der Sturni stürzte sich heulend auf
das unglückliche Schiff. An den Stangen, die von dem Fockniast zum großen
Mast führen, züngelte das Feuer wie eine Schlange hinauf, und in einem
Nu stand auch dieser in Flammen; ein dichter Funkenregen fiel auf die Rahen
und Stengen des Besanmastes nieder. Im Innern wütete die Glut fort,
und das Feuer näherte sich mehr und mehr dem verhängnisvollen Orte der
Pulverkammer.
Der Kapitän hatte eine kurze Beratung mit seinen Offizieren gehalten;
diese traten aus einander, und der Befehlshaber sprach mit lauter Stimme:
„Dänische Männer! Wir weichen dem Geschick! Das Schiff ist nicht
mehr zu retten, also will ich euch retten! Wir besteigen die Boote! Haltet
fest zu einander und seid ruhig und besonnen!"