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Zustände des deutschen Volkes
Zustände ™ ^ ^ ^
I. Deutsches Fürstenleben.
1. Das Leben und Treiben an den Höfen. Die Fürsten des
16. Jahrhunderts waren Kinder ihrer Zeit. mit affen Mängeln
Schwächen und Thorheiten ihrer Zeit behaftet. Sie teilten die herrschen¬
den Leidenschaften und Ausschweifungen aller Kreise, denn Unmäßigkeit
un Essen und Trinken, Schlemmerei und Sittenroheit waren die ge¬
wöhnlichen Untugenden, nicht nur des Fürsten, sondern auch des
Edelmannes, des Bürgers wie des begüterten Bauern. Das 16. Jahr¬
hundert war eben der Zeitabschnitt in der deutschen Geschichte in
welcher am meisten gegessen und getrunken wurde.
Die größte Üppigkeit und der höchste Prunk zeigte sich bei Fest¬
mählern, mit denen erfreuliche Staatsereignisse oder sonstige öffentliche
Veranlassungen gefeiert wurden. Bei einem Gastmahl, das im Jahre
1569 der Rat von Braunschweig dem Herzog Julius zu seiner Thron¬
besteigung gab, tafelte man vier Stunden, um die elf Gänge einzu¬
nehmen, die aufgetragen wurden. An Überraschungen und wunder¬
lichem Luxus fehlte es bei großen Festen und bei Gastmählern selten-
z. B. wurde der Wein von Küfern auf einem Wagen in den Saal
gezogen; Reiter sprengten herein, welche zu Pferd die Speisen auf¬
trugen; ein feuerspeiender Drache kroch in den Saal und wurde von
Landsknechten erschlagen; Athleten, Sänger und Harfenmädchen zeigten
vor den Gästen ihre Künste; ans Pasteten flogen Vögel, sprangen
Hasen und Eichhörnchen hervor, und wohl gar stieg ein Zwerg heraus
welcher höflichst grüßte und verschwand.
Als sich Kaiser Karls V. spanische Höflinge bei ihm über die
deutsche Trinklust beklagten, bekannte er seine Ohnmacht, gegen dieselbe
ebensowenig auszurichten, wie gegen die Rauflust der Spanier. Fürsten
von großer Begabung und hoher Bedeutung, wie Moritz von Sachsen,
Albrecht V. von Bayern, die Herzöge von Pommern, waren wegen
ihrer Leistungsfähigkeit im Trinken geradezu berüchtigt. Aber der all¬
gemeine Aufschwung des geistigen Lebens, den die Reformation erweckt
hatte, bemächtigte sich auch der herrschenden Klasse und trieb sie zu
einem edlen Wetteifer mit der bürgerlichen an. Die früher weit ver¬
breitete Meinung, daß einem adeligen Mann nicht gezieme, sich mit
Büchergelehrsamkeit zu plagen, daß es für einen Fürsten hinreichend
fei/ feinen Namen zu schreiben und sein Gebetbuch buchstabieren zu