Full text: Hülfsbuch für den Unterricht in der deutschen Geschichte, mit besonderer Berücksichtigung der Kulturgeschichte

328 
Zustände des deutschen Volkes 
Zustände ™ ^ ^ ^ 
I. Deutsches Fürstenleben. 
1. Das Leben und Treiben an den Höfen. Die Fürsten des 
16. Jahrhunderts waren Kinder ihrer Zeit. mit affen Mängeln 
Schwächen und Thorheiten ihrer Zeit behaftet. Sie teilten die herrschen¬ 
den Leidenschaften und Ausschweifungen aller Kreise, denn Unmäßigkeit 
un Essen und Trinken, Schlemmerei und Sittenroheit waren die ge¬ 
wöhnlichen Untugenden, nicht nur des Fürsten, sondern auch des 
Edelmannes, des Bürgers wie des begüterten Bauern. Das 16. Jahr¬ 
hundert war eben der Zeitabschnitt in der deutschen Geschichte in 
welcher am meisten gegessen und getrunken wurde. 
Die größte Üppigkeit und der höchste Prunk zeigte sich bei Fest¬ 
mählern, mit denen erfreuliche Staatsereignisse oder sonstige öffentliche 
Veranlassungen gefeiert wurden. Bei einem Gastmahl, das im Jahre 
1569 der Rat von Braunschweig dem Herzog Julius zu seiner Thron¬ 
besteigung gab, tafelte man vier Stunden, um die elf Gänge einzu¬ 
nehmen, die aufgetragen wurden. An Überraschungen und wunder¬ 
lichem Luxus fehlte es bei großen Festen und bei Gastmählern selten- 
z. B. wurde der Wein von Küfern auf einem Wagen in den Saal 
gezogen; Reiter sprengten herein, welche zu Pferd die Speisen auf¬ 
trugen; ein feuerspeiender Drache kroch in den Saal und wurde von 
Landsknechten erschlagen; Athleten, Sänger und Harfenmädchen zeigten 
vor den Gästen ihre Künste; ans Pasteten flogen Vögel, sprangen 
Hasen und Eichhörnchen hervor, und wohl gar stieg ein Zwerg heraus 
welcher höflichst grüßte und verschwand. 
Als sich Kaiser Karls V. spanische Höflinge bei ihm über die 
deutsche Trinklust beklagten, bekannte er seine Ohnmacht, gegen dieselbe 
ebensowenig auszurichten, wie gegen die Rauflust der Spanier. Fürsten 
von großer Begabung und hoher Bedeutung, wie Moritz von Sachsen, 
Albrecht V. von Bayern, die Herzöge von Pommern, waren wegen 
ihrer Leistungsfähigkeit im Trinken geradezu berüchtigt. Aber der all¬ 
gemeine Aufschwung des geistigen Lebens, den die Reformation erweckt 
hatte, bemächtigte sich auch der herrschenden Klasse und trieb sie zu 
einem edlen Wetteifer mit der bürgerlichen an. Die früher weit ver¬ 
breitete Meinung, daß einem adeligen Mann nicht gezieme, sich mit 
Büchergelehrsamkeit zu plagen, daß es für einen Fürsten hinreichend 
fei/ feinen Namen zu schreiben und sein Gebetbuch buchstabieren zu
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.