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Preußens Kampf und Fall.
Charlotte, spätere Kaiserin von Rußland, erhielt damals von ihrem
Vater zum Geburtstage fünf Thaler zu einem neuen Kleide, denn
mehr hatte der König, wie er bemerkte, nicht übrig. Die Mittags-
tafel war in einem so hohen Grade einfach und bescheiden, daß man
selbst in jenen schweren Zeiten an manchen bürgerlichen Familientafeln
besser speiste, als an der königlichen Tafel.
In allen Volksklassen zeigte sich in der Zeit des Unglücks die
innigste Teilnahme für das edle Königspaar. Der Aufenthalt der
königlichen Familie in Königsberg ist zu dieser Zeit reich an schönen,
milden, rührenden Zügen der reinsten Hingabe und Anhänglichkeit.
Unter anbeut kam aus der Weichselniedernng bei Kulm ein Landbauer
nebst seiner Frau zum König und der Königin. Der ehrliche Mann,
treuherzig und bieder, brachte ein Geschenk von 3000 Stück Fried'
richsdor, und die Frau trug einen Korb mit frischer Butter. Er
sprach schlicht und einfach und redete den König mit „Du" an, wie
es bei der Sekte der Mennoniten, welcher der Mann angehörte, Sitte
ist. Er sagte: „Gnädigster Herr, Deine getreuen mennonitischen Unterthanen in
Preußen haben mit Schmerz erfahren, wie groß Deine Not ist, die Gott über Dich,
Dein Hauv und Land verhängt hat. Das thut uns allen leid, und darum siud
unsere Gemeinden zusammengetreten und haben gern und willig diese Kleinigkeit zu¬
sammengebracht. Von ihnen geschickt, komme ich in ihrem Namen, unsern lieben
König und Herrn zu bitten, diese Gabe aus treuem Herzen wohlwollend anzunehmen,
und werden wir nicht aufhören, für Dich zu beten."
Die Frau aber überreichte mit offenem, freundlichen Angesicht
ihren Korb voll frischer Butter der Königin mit den Worten: „Man
hat mir gesagt, daß unsere gnädige Frau Königin gute, frische Butter sehr liebt und
auch die jungen Prinzen und Prinzessinnen gern ein gutes Butterbrot essen. Diese
Butter hier ist rein und gut, aus meiner eigenen Wirtschaft, und da sie jetzt rar ist,
so habe ich gedacht, sie würde wohl angenehm sein. Die gnädige Königin wird auch
meine kleine Gabe nicht verachten; Du siehst ja so freundlich und gut aus; wie
freue ich mich, Dich mal in der Nähe sehen zu können." Mit Thränen der Rührung
im Auge drückte die Königin der Bauersfrau die Hand, nahm das Umschlagetuch ab,
das sie eben trug, und hing es der gutmütigen Geberin mit den Worten tim: „Zum
Andenken an diesen Augenblick." Auch der König nahm die Gabe treuer Liebe gern
an, quittierte aber über den Empfang, und daß er späterhin reich und königlich ver¬
galt, braucht nicht erst versichert zu werden*).
Im eigenen tiefsten Leid vergaß die Königin nicht, Wohlthaten zu
spenden und nach ihren Kräften und in ihrer Weise zur sittlichen und
religiösen Erhebung ihres Volkes mit zu wirken. Ihre schwache Ge¬
sundheit hielt sie nicht ab, sich eifrig mit den Königsberger Schulan-
*) Eylert, Friedrich Wilhelm III. Bd. III.