Full text: Hülfsbuch für den Unterricht in der deutschen Geschichte, mit besonderer Berücksichtigung der Kulturgeschichte

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Die Zeit der Freiheitskriege 
Der Admiral, zu dessen Kommando jenes Kriegsschiff gehörte, hatte schon 
lange den Befehl, sich seiner zu bemächtige,: und ihn nach Plymouth zu bringen. 
In der Nacht vom 25. zum 26. Juli stach das Schiff in See und gelangte am 
nächsten Morgen an die Küste Englands, wo es einige Tage unter strenger Bewachung 
blieb, bis aus London die Entscheidung über das Schicksal des Gefangenen eintraf. 
Am 30. ward es ihm verkündet. Es hieß darin, da es sich mit den Pflichten gegen 
England selbst und die Verbündeten seines Königs schlecht vertragen würde, wenn 
„General Bonaparte" Mittel und Gelegenheit behielte, nochmals den Frieden von 
Europa zu stören, so sei es notwendig, ihn in seiner persönlichen Freiheit zn be¬ 
schränken. Man habe daher zu seinem künftigen Aufenthalte die Insel St. Helena 
bestimmt, deren Klima gesund sei und deren vereinzelte Lage es erlaube, ihn mit 
mehr Nachsicht zu behandeln als dies anderwärts die notwendigsten Vorkehrungen 
zulassen würden. Man gestatte ihm drei Offiziere, einen Arzt und zwölf Diener 
dahin mitzunehmen, die jedoch die Insel ohne Erlaubnis der britischen Regierung 
nicht verlassen dürften. So das Urteil. 
Napoleon beschwerte sich über die Gewalt, die man ihm anthat, und er berief 
sich darauf, daß er ohne Zwang auf ein englisches Schiff gekommen und daher 
Englands Gastfreund, nicht Englands Gefangener sei. Aber seine Beschwerde half 
nichts, zumal die Vertreter der verbündeten Mächte ihn auch als Gefangenen erklärten. 
Am 7. August bestieg Napoleon das Schiff „Northumberland," welches ihn nach 
St. Helena bringen sollte. Die ihn begleitenden Franzosen nahmen ihre Familien 
mit. Am 15. Oktober kam die düstere Felseninsel mit ihren fast senkrecht gegen das 
Meer abfallenden Wänden in Sicht. In dem einzigen Hafen derselben legte sich der 
„Northumberland" vor Anker, um den Mann auszuschiffen, vor dem Europa ge¬ 
zittert hatte und der nun unschädlich gemacht worden war. Als Wohnung war ihm 
ein Landhaus in Longwood angewiesen, welches auch die Begleiter mitbewohnten. 
Es war eine Grenze angegeben, innerhalb deren sich Napoleon völlig frei bewegen 
konnte; verließ er dieselbe, so hatte ihn ein englischer Offizier zu begleiten. Doch 
war ihm dies nicht gestattet, wenn Schiffe in Sicht kamen. Alle Briefe, die nach 
Longwood gerichtet waren oder dort geschrieben wurden, unterlagen der Durchsicht 
des Gouverneurs, mit dem Napoleon beständig auf schlechtem Fuße stand. So¬ 
weit die Kräfte reichten, wurde der Schein des Hoflebens aufrecht erhalten; die Damen 
erschienen in großer Toilette bei Tafel, der Kaiser trug das Großkreuz der Ehren¬ 
legion, des von ihm gestifteten Ordens. Seine Zeit teilte er zwischen Arbeiten an 
seinen Denkwürdigkeiten, die er seinen Gesellschaftern oft viele Stunden lang ohne 
Ermüdung diktierte, Billard- oder Schachspiel, dem Lesen der englischen Zeitungen, 
die er erst jetzt selbst lesen lernte, und neuer Bücher, die ihm zugeschickt wurden. Des 
Abends las er wohl auch selbst aus Voltaire oder Corneille, aus der Odyssee oder 
der Bibel vor, und war dann nicht eben erbaut, wenn eine oder die andere der zu¬ 
hörenden Frauen einschlief. 
Napoleon gab zunächst die Hoffnung nicht auf, nach Frankreich zurückkehren 
zu können. Als der Gouverneur bald nach feiner Ankunft versprach, ein neues be¬ 
quemeres Haus für ihn erbauen und binnen zwei Jahren herstellen zu lassen, 
erwiderte Napoleon: „Ach, in zwei Jahren giebt es einen Ministerwechsel in England 
oder eine neue Regierung in Frankreich, und ich bin nicht mehr hier." Aber seine 
Hoffnung erfüllte sich nicht, auch seine übertriebenen Berichte über die angeblich 
strenge Behandlung halsen nichts. Allmählich verzehrte ein schweres Magenleiden,
	        
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