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*36. Friedrich Wilhelm IV. und das alte Mütterchen.
Einst wollte Friedrich Wilhelm IV. auf der Eisenbahn
von Berlin nach Potsdam fahren. Alles war zur Ab¬
fahrt fertig, und mau wartete nur noch auf das Ein«
steigen des Königs. Dieser zögerte und stieg nicht ein,
obgleich bereits mit der Glocke das letzte Zeichen gegeben
worden war. Eben wollte man dem Könige sagen, daß
es Zeit zum Abfahren sei, da sah man eine alte Frau
mit einem schweren Korbe keuchend herankommen. Der
König hatte sie längst bemerkt und deshalb mit dem Ein¬
steigen gewartet. Als die Frau endlich bei dem Zuge
angekommen war, ging der König zu ihr, klopfte ihr
auf die Schulter und sagte: „Ja, Mütterchen, da wären
Sie nicht mit fortgekommen, wenn ich nicht auf Sie
gewartet hätte."
* 37. Wohin gehört der König?
Auf einer Reise wurde Friedrich Wilhelm IV. in
einem Dorfe festlich empfangen. Die Schulkinder be¬
grüßten ihn, und ein kleines Mädchen trug ihm ein
Gedicht vor. Der König freute sich sehr darüber und
sagte zu ihm: „Du hast deine Sache gut gemacht. Nun
will ich dir aber auch einige Fragen vorlegen." Er
zeigte ihm eine Apfelsine und fragte: „Wohin gehört
das?" „In das Pflanzenreich," erwiderte schüchtern das
Mädchen. Darauf zeigte er ihm ein Goldstück und
stellte dieselbe Frage. „Ins Mineralreich," sprach das
Kind. „Wohin gehöre ich denn?" war die dritte Frage.
Freundlich blickte das Kind seinen König an und ant¬
wortete: „Ins Himmelreich." Da glänzte eine Thräne
im Auge des Königs, und er hob das Mägdlein empor
und küßte es.