Friedrich Wilhelm II. 107
die Grenzen. Eine ihrer Heeresabteilungen drang unter Cu st ine (küstin)
gegen den Mittelrhein vor, nahm Mainz, die erste Festung des Reiches,
ohne Kanonenschuß und eroberte sogar Frankfurt a. M. Zu gleicher Zeit
besetzte Dumouriez (dümurje) ganz Belgien und selbst Aachen. Überall
spielten sich die Franzosen als Befreier von der Tyrannenherrschaft auf,
errichteten Freiheitsbäume und bereiteten durch Einführung republikanischer
Einrichtungen die Einverleibung des linksrheinischen Gebietes in Frank¬
reich vor.
Die Feldznge 1793 und 1794. Das Bestreben der Franzosen,
die europäischen Völker zur Empörung gegen ihre Fürsten aufzuwiegeln,
und die Hinrichtung Ludwigs XVI. wurden Ursache, daß fast olle
monarchischen Staaten Europas mit Österreich und Preußen zu einem
Bündnis gegen Frankreich, der ersten Koalition, zusammentraten.
Die Österreicher säuberten ihre Niederlande von den Feinden, deren
Führer Dumouriez mit dem Sohne des Herzogs von Orleans, dem
spätern Könige Ludwig Philipp, zu ihnen überging. Die Preußen, bei
denen der König mit seinen Söhnen erschienen war, nahmen Mainz.
Der Fall dieses wichtigen Platzes brachte die Generäle Custine und
Beauharnais (boarnä), denen man die Schuld hieran beimaß, unter
die Guillotine. Von allen Seiten rückten die zahlreichen Heere der
Verbündeten in Frankreich ein, dessen Kraft Parteiungen und Aufstände
lähmten. Da erließ der Konvent ein allgemeines Aufgebot aller wehr¬
fähigen Franzosen. Das ganze Land schien plötzlich in ein Kriegslager
verwandelt. Carnot (karno), ein Mitglied des Wohlfahrtsausschusses,
organisierte mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit die ausgehobene
Mannschaft. Bald boten überlegene Armeen unter talentvollen Führern
den eingedrungenen Feinden die Spitze. Was den jungen Streitern an
Übung mangelte, ersetzte ihre Begeisterung. Fast überall waren sie im
Vorteil. Nur die Preußen wahrten ihren alten Waffenruhm. Sie
nahmen die Weißenburger Linien, eine Kette von Verschanzungen
an der Lauter, und fochten siegreich bei Kaiserslautern. Aber die
Unentschlossenheit der Führung ließ es zu keiner nachdrücklichen Ver¬
folgung der Siege kommen, und die durch die Vorgänge in Polen ge¬
nährte Uneinigkeit der Monarchen hinderte ein zielbewußtes Zusammen¬
wirken. Der Herzog von Braunschweig legte mißmutig den Oberbefehl
über das preußische Heer nieder. Unter dem General von Möllen¬
dorf siegte dieses im nächsten Jahre bei Kaiserslautern zwar noch zwei¬
mal, und der Husarenoberst von Blücher begründete seinen Ruf als
kühner und rastloser Reiteranführer durch so manchen verwegenen Strauß;
aber Ende 1794 mußten die Preußen, dem Beispiele der Österreicher
folgend, anfs rechte Rheinufer zurückgehen. Die Franzosen besetzten
nicht nur das linksrheinische deutsche Gebiet, sondern bemächtigten sich
im Winter auch Hollands, das sie zur „Batavischen Republik"
umwandelten.
Der Baseler Friedensschluß (1795). Friedrich Wilhelm II. war
des Krieges müde. Die Erreichung des ursprünglichen Zweckes desselben