Full text: Deutsche Poesie von den Romantikern bis auf die Gegenwart

5 Georg Scheurlin 
6. Vom nahen Hügel schwanket 7. Es sieht dem stillen Weben 
Ein morsches Kreuz ins Tal Im Tale freundlich zu; 
Von wilden Blumen umranket, — Dort ist so schön das Leben 
Ein schlichtes Totenmal. Und selig hier die Ruh'. 
320. Abendläuten. 
1. Aus dem fernen Tal, ob des Waldes Saum, 
Ertönen die Glocken im leisen Traum. 
Sie singen und schwingen wohl auf und zu; 
Sie läuten den Tag zu seiner Ruh'. 
2. Und läuten sie ein die stille Nacht, 
Das hat mir das Herz so weich gemacht, 
Weil all meiner Jugend Leid und Freud 
Erwachet in ihrem Abendgeläut'. 
3. Die Seele auf zum Sternensaal, 
Den Himmelsfrieden zum Erdental, 
Den Fremdling heim ins Vaterhaus, 
Das läuten die Glocken ein und aus. 
4. So läuten sie fort bis zur letzten Stund', 
Dann schließt sich betend ihr frommer Mund; 
Doch wann erwachend der Morgen graut, 
Da werden ja alle von neuem laut. 
5. Derweil ich mein Sinnen nach oben wend', 
Ist nun der Glocken Läuten zu End'; — 
Geht alles zu End', nur du nicht allein, 
Sollst, Gott, du mir eines und alles sein! 
321. Das Glöcklein im Herzen. 
Es pocht dein Herz den ganzen Tag 
Was es nur meinen und sagen mag? 
Es pocht dein Herz die ganze Nacht, 
Hast du das, Kindlein, schon bedacht? 
Und pocht's so lang, oft laut, oft still, 
Hast du gefragt, was das Herzchen will? — 
Ein rührig Glöcklein ist es eben, 
Vom lieben Gott dir zu eigen gegeben; 
Er hing's an deiner Seelen Tür 
d Und läutet es selber für und für 
Und stehet draußen und harret still, 
Ob ihm dein Glaube öffnen will, 
Und läutet fürder und harret fein, 
Du wollest rufen: „Herein, herein 
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