134. Der Rheinfall bei Schaffhausen.
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Bünden. Der Richtung nach schien es mir, daß sie jenseits des Sees der
vier Waldstädte, im Kanton Luzern oder im Kanton Uri lägen. Die hohe
Württembergische Feste Hohentwiel ließen wir auf unserer Fahrt nach Schaff¬
hausen hart am Wege liegen. Auch in ihr, wie in der von Hohenasperg, werden
Gefangene bewahrt.
Etwa eine Stunde vor Schaffhausen sahen wir den Rhein im Thale,
Mischen den waldigen Ufern und stark rauschend mit smaragdgrünen, durch¬
sichtigen Wogen, lauter wie Wein, nach seinem Bade im Bodensee. Die Höhe
eines Berges im Walde über diesem Strome trennt das deutsche Reich, nicht
Deutschland, eine halbe Stunde von Schaffhausen, von der Schweiz, nicht
Deutschland!
Nahe bei Schaffhausen ist der Rhein sehr reißend und rauscht über Felsen.
In früheren Zeiten schon standen hier Häuser, in welche Waren gelegt wurden,
die von den höheren Gegenden, Bünden, Lindau, Konstanz rc. mit dem Strom
gekommen waren und wegen des nahen Rheinfalls hier ausgeladen wurden.
Diese Häuser gaben nachher der Stadt ihren Namen. Denn in schweizerischer,
schwäbischer und österreichischer Mundart bedeutet das Wort schaffen: handeln,
kaufen und verkaufen. Am Nachmittag besuchten wir den Rheinfall. Wie könnt'
ich den beschreiben! Er läßt jede Beschreibung weit hinter sich, jede Vorstellung,
selbst die Erinnerung. Ich sah ihn zum drittenmal, aber mit eben dem Staunen,
mit welchem ich ihn das erstemal gesehen hatte. Er überrascht den Mann, wie
er den Jüngling überrascht hatte.
Ich scheine etwas zu sagen und sage nichts, wenn ich erzähle, wie der
breite Strom zwischen hohen Felsen, die mit Laubholz bewachsen sind, in einer
ungeheuern Schaummasse, durch welche hie und da die grüne Farbe der ge¬
wölbten Fluten schimmert, mit betäubendem Getös' und fliegendem Ungestüm,
tief herunterstürzt; wie drei in ungleicher Entfernung mitten aus seinem Wasser¬
fall hervorragende, mit immer erschüttertem Gebüsch belaubte Felsen, ihm, nicht
ungestraft, sondern ausgehöhlt und durchlöchert, entgegenstarrend, seinen Sturz
teilen und verherrlichen. Auf dem minder hohen Felsenufer, zur rechten Seite
des Wasserfalls, steht im Schaffhausener Gebiet eine Drahtmühle; gegenüber,
im Gebiet des Kanton Zürich, steht das Schloß Laufen auf einem viel höhern
Felsen. Zuerst zeigt man Fremden den Rheinfall von der Seite der Draht¬
mühle, wo die Erwartung schon sehr überrascht, wo schon der Hinstaunende
freudig erschreckt wird. Dann führt man ihn einen schmalen, krummen Pfad,
unter Bergen am gerundeten Becken des Stromes hin, bis er, gerade dem
Rheinfall gegenüberstehend, gewahr wird, daß die Katarakte, welche er eben
anstaunte, nur zwischen dem Ufer und einem Felsen, der mitten aus dem Strom
sich emportürmt, gebildet werden, und etwa den fünften Teil des Wasserfalles
ausmachen.