Full text: Das Altertum (Bd. 1)

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selbst danach zu streben. Zugleich wendete sie eine List an, 
um ihm dazu behilflich zu sein. Sie teilte von dem Söller des 
Palastes dem harrenden Volke mit, die Wunde ihres Gemahls 
sei nicht tötlich; er hosse selbst bald wieder die Regierung über¬ 
nehmen zu können; bis dahin ernenne er seinen Schwiegersohn 
zu seinem Stellvertreter und befehle diesem zu gehorchen wie 
ihm selbst. Alsbald schritt Servius aus dem Hause, angethan 
mit den Abzeichen der königlichen Würde, und vor ihm her 
gingen die Lictoren. Mehrere Tage verwaltete er die Geschäfte 
im Namen des Tarquinins, dessen Tod Tanaquil so lange zu 
verheimlichen wußte. Endlich gab sie, nachdem ihr Schwieger¬ 
sohn in der Gewalt hinlänglich befestigt zu sein schien, dem 
Volke Kunde von dem Abscheiden ihres Gemahls. Die Urheber 
des Mordes waren schon vorher auf das Gerücht hin, daß der 
König noch lebe und den Servius zum Stellvertreter eingesetzt 
habe, aus der Umgegend Roms entwichen. — So regierte 
Servius, zwar vom Volke anfangs nicht ausdrücklich zum Könige 
gewählt, unangefochten weiter. Um die beiden Söhne des Tar- 
quiuius zu gewinnen und nicht dieselbe Rache fürchten zu müssen, 
deren Opfer fein Vorgänger geworden war, vermählte er jenen 
feine beiden Töchter. Er flocht übrigens einen reichen Kranz 
kriegerischen Ruhmes um sein Haupt, demütigte die Vejenter 
sowie die übrigen Etrusker und bewog die Latiner durch kluges 
Auftreten, in Rom einen Dianentempel als gemeinsames Bundes¬ 
heiligtum zu errichten und damit die Stadt von neuem als 
Haupt Latiums anzuerkennen. Aber das Hauptwerk seines 
Lebens ist doch die Veränderung der Verfassung. Bisher hatten 
die Patricier allein die Kriege führen und den größten Teil 
der Steuern zahlen müssen. Dadurch war ihre Zahl immer 
mehr zusammengeschmolzen und ihr Vermögen geringer geworden. 
Dagegen hatte die Masse der Clienten sehr zugenommen; haupt¬ 
sächlich auch deswegen, weil die Einwohner von Albalonga und 
der anderen eroberten Städte nach Rom versetzt und den Clienten 
eingereiht worden. Indessen hatten nicht einzelne Bürger das 
Schutzrecht (clientela) über sie erhalten, sondern der König 
selbst war ihr patrönus geworden. Aus diesen neuen Bewoh¬ 
nern bildete sich nun allmälig ein neuer Stand unter den 
Patriciern und über den Clienten: die Plebtzser oder die Plebs. 
Zunächst erhielten sie keine staatlichen Rechte weiter, als daß
	        
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