fullscreen: Vom Regierungsantritt Karls des Großen bis zum Tode Friedrichs des Großen (Teil 2 = Klasse 2)

VI. Die Aufklärung. 199 
er die geoffenbarte Religion als Betrug und Aberglauben, die Priester 
als Schauspieler. Dagegen ist dem Vertreter des englischen Deismus, 
dem die Religion auf die Schlagworte Gott, Tugend und Ansterblich¬ 
keit zusammenschrumpfte, das Dasein eines höchsten, wenn auch un¬ 
erkennbaren Wesens eine selbstverständliche Voraussetzung. „Gäbe 
es keinen Gott, so müßte man ihn erfinden," das Wort stammt aus 
diesen Kreisen. In Friedrichs des Großen Briefen an französische 
Gelehrte finden alle Ideen Voltaires einen kräftigen Widerhall. 
Montesquieu (f 1755) wurde für die liberale Staatswissenschaft 
der neueren Zeit bahnbrechend. Er entwirft 1748 im „Geiste der 
Gesetze" Vorschläge zu einer politischen und sozialen Neugestaltung 
Frankreichs auf vernunftgemäßer Grundlage. Nach dem Muster des 
englischen Staates schwebt ihm ein verfassungsmäßiges Königtum mit 
starker Volksvertretung und einem mächtigen Adel vor (Zweikammer¬ 
system). In haßerfüllter Sprache geißelt er in dieser Schrift das persön¬ 
liche Regiment mit all seinen Schäden; statt der Willkür fordert er als 
notwendigen Unterbau des Staates das Gesetz. Auch aus Montesquieu 
hört man schon das Grollen der Revolution: «Je ne puis comprendre, 
comment les princes croient si aisement qu’ils sont tout, et 
comment les peuples sont si prets ä croire qu’ils ne sont rien» 
das ist bereits der Ton der „Äochzeit des Figaro" und der Flugschrift 
des Abbe Sieyes über den dritten Stand. 
In der zweiten Äälfte des 18. Jahrhunderts findet die gesamte 
Aufklärungsliteratur in Diderots Enzyklopädie, einem Riesen¬ 
sammelwerk von 35 Foliobänden, ihren Brennpunkt. Die bedeutendsten 
Schriftsteller Frankreichs lieferten Beiträge. Die Regierung suchte 
das Unternehmen zu hemmen, aber vergeblich. Der letzte Band er¬ 
schien 1771. Das Werk ist eine Fundgrube für alles, was das da¬ 
malige Frankreich an Witz, Spott, Vorschlägen und Widerlegungen 
über geistige, politische und gesellschaftliche Fragen vom Standpunkte 
des „bon sens“ aufgebracht hat. Die Sprache der populären Auf¬ 
klärerei zündete in den Massen. 
Zu den extremsten Enzyklopädistenkreisen gehören der Pfälzer 
Baron von Lolbach und der Arzt La Mettrie. Äolbachs 
„Systeme de la nature“, die „Atheistenbibel", der klassische Aus¬ 
druck des Materialismus, zu dem die Aufklärung Frankreichs führte, 
bedeutete für die Gesellschaft jener Zeit eine Offenbarung. Voltaire 
und Friedrich der Große haben sich mit Nachdruck dagegen gewendet. 
Den Gipfel aber der Phrasenhaftigkeit findet die atheistisch¬ 
materialistische Bewegung in La Mettries: «L’homme machine»1; 
1 Friedrich der Große berief La Mettrie an die preußische Akademie und 
verfaßte nach seinem Tode eine Lobrede auf ihn.
	        
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