170 Das Mittelalter.
tage, am Palmsonntage oder zu Ostern geistliche Schauspiele oder
Mysterien, wie man sie nannte, zur Belehrung und Erbauung
des Volkes aufgeführt. Diese Spiele wurden zunächst in den
Kirchen gegeben; da aber bald der Raum für die Zuschauer nicht
mehr ausreichte, so wurden sie auf die Kirchhöfe und öffentlichen
Plätze verlegt. Damit verlor aber allmählich das geistliche Schau¬
spiel seinen kirchlichen Charakter, zumal da die scherzhaften Scenen
sich immer mehr ausbildeten. Bei diesen mußte besonders oft der
Teufel herhalten, welcher als »armer dummer Teufel" angeführt
oder durchgeprügelt wird. Erhalten haben sich aber noch bis auf
den heutigen Tag die sogenannten Passionsspiele, in denen die
ganze Leidensgeschichte des Heilandes dargestellt wird, oder feierliche
Umzüge am hl. Karfreitage.
In der Baukunst war mit dem Anfange des vierzehnten
Jahrhunderts der gotische Stil völlig durchgebildet. Zu den
Meisterwerken, welche in dieser Zeit entstanden, gehören der
Stephansdom in Wien, die Marienkirche in Danzig, die Frauen¬
kirche in Nürnberg, das Langhaus der Dorne zu Magdeburg und
Regensburg und viele andere Gotteshäuser, die laut verkündigen,
welche Glaubensinnigkeit, welch lebendiger Sinn für das Höhere
im Mittelalter geherrscht hat.
Die schwere Aufgabe, rohe aber kräftige Völkerschaften von
heidnischer Verderbnis zu läutern, ihre Kultur zu begründen und
sie zu christlicher Ordnung zu erziehen, ist, wie wir gesehen haben,
am Ende des Mittelalters vollständig gelöst. Ganz Europa sehen
wir mit den Segnungen des Christentums beglückt, wir schauen
eine großartige geistige Entwickelung, einen Fortschritt nach allen
Seiten, hervorgerufen durch die erziehende und leitende Kraft der
Kirche. Freilich stoßen wir, besonders am Ende des Mittelalters,
neben Beispielen erhabener Tugend und Heiligkeit häufig auch auf
Roheit und Sittenlosigkeit, und an Stelle von Recht und Gesetz
ist vielfach Willkür und Gesetzlosigkeit getreten. So ließen manche
Erscheinungen leider befürchten, daß leicht eine gewaltsame Um¬
wälzung eintreten könne.