Der Untergang des weströmischen Reiches.
85
Söldnerheere in ihren Dienst. Allmählich wird es Sitte, daß die
Kaiser nach der Willkür der germanischen Befehlshaber auf den
Thron berufen und wieder vom Throne verstoßen werden. Im
Jahre 476 fordert Odoaker für seine im kaiserlichen Dienste stehen¬
den Truppen Ländereien in Italien. Da ihm dies abgeschlagen
wird, zwingt er den jugendlichen Kaiser Romulus Angustnlus,
dem Throne zu entsagen, und läßt sich selbst zum Herrscher von
Italien ausrufen. Mit dieser Begebenheit endigt die römische Ge¬
schichte; mit einem Romulus begann der römische Staat, mit einem
Romulus geht er unter.
Das mächtigste der Reiche der Welt ist nicht mehr, aus den
alten römischen Provinzen werden neue germanische Reiche; wilde,
aber kräftige Barbaren werden auf den marklosen Stamm des
entnervten Römertums gepflanzt. Aber wenn diese auch das rö¬
mische Reich zerstörten, so vernichteten sie doch nicht die christliche
Kirche, die sie im römischen Reiche fanden und die wie eine Pyra¬
mide aus Sand- und Trümmerhaufen hervorschaute. Sie ist der
Fels, auf dem das gläubige, jugendlich kräftige und thatenreiche
Mittelalter seine Geschichte aufbaut.
Sie Geschichte des Wittelalters.
I. Urgeschichte der Germanen.
Lcrnd und Leute.
Nach der Eroberung Galliens durch Cäsar unterschied man
ein römisches Germanien auf dem linken Rheinufer und ein freies
Germanien vom Rhein bis an die Weichsel und von der Donau
bis zur Nord- und Ostsee. Das Land war im allgemeinen un¬
fruchtbar, von schaurigen Wäldern und garstigen Sümpfen bedeckt;
in den Wäldern hausten zahlreiche Bären, Elentiere und Auer¬
ochsen. Getreide und Feldfrüchte wurden nur stellenweise gezogen;
stärker betrieben wurde wegen der ausgezeichneten Weiden die Vieh¬
zucht. Pferde, Rinder, Schafe, Schweine wurden in großen Mengen
gehalten, Gänse- und Bienenzucht war nicht unbekannt.