Full text: [Teil 6, [Schülerband]] (Teil 6, [Schülerband])

227 
3. Da traten Blätter, zart und weich, 
Aus kleinen, braunen Wiegen, 
Um schüchtern an den schlanken Zweig 
Sich innig anzuschmiegen. 
4. Da sprang Schneeglöckchen pfeil¬ 
geschwind 
Aus seinem grünen Bette; 
Es glaubte schon das schöne Kind, 
Daß es verschlafen hätte. 
5. Da öffneten sich allzumal 
Die Särg' der Winterschläfer; 
Da spielten in der Sonne Strahl 
Die Mücken und die Käser. 
6. Da wurden auch die Veilchen wach. 
Die tief im Grase wohnen, 
Und bunte Primeln folgten nach 
Und weiße Anemonen. 
7. Da fing mein Herz zu klopfen 
an 
So schmerzlich und so bange; 
Ein Strom von bittern Thränen rann 
Heiß über meine Wange. 
8. Der Lieben hab' ich still gedacht, 
Die grüne Hügel decken, 
Und die der Lenz mit seiner Macht 
Nicht kann vom Schlaf erwecken. 
106. Wie die Vögel leben und wohnen. 
i. 
Kein anderes Geschöpf versteht so viel zu leben, wie der Vogel lebt; 
kein anderes Geschöpf weiß so ausgezeichnet hauszuhalten mit seiner Zeit 
wie er. Ihm ist der längste Tag kaum lang, die kürzeste Nacht kaum 
kurz genug; seine beständige Regsamkeit gestattet ihm nicht, die Hälfte 
seines Lebens zu verträumen und zu verschlafen: er will wach, munter, 
fröhlich die Zeit durchmessen, welche ihm gegönnt ist. 
Alle Vögel erwachen früh aus dem Schlafe der Nacht. Die meisten 
sind rege, noch ehe das Morgenrot den Himmel säumt. In den Ländern 
jenseit des Polarkreises bemerkt man an ihnen kaum, daß sie einen Unter¬ 
schied machen zwischen den Stunden des Tages und denen der Nacht. 
Ich habe den Kuckuck noch in der zwölften Abendstunde und bereits in 
der ersten Morgenstunde wieder rufen hören und während des ganzen 
dazwischen liegenden Tages in Thätigkeit gesehen. 
Wer bei uns im Hochsommer früh in den Wald geht, vernimmt 
schon mit dem ersten Grauen der Dämmerung die Stimmen der Vögel 
und dieselben ebenso noch nach Sonnenuntergang. Eine kurze Zeit in 
der Nacht, einige Minuten dann und wann am Tage scheinen ihnen zum 
Schlafen zu genügen. Unsere Hühner setzen sich zwar schon vor Sonnen¬ 
untergang zur Nachtruhe auf, schlafen jedoch noch nicht und beweisen 
durch ihren Weckruf am Morgen, daß kaum drei Stunden erforderlich 
waren, um sie für die lange Tagesarbeit zu stärken. Ähnlich ist es bei 
den meisten; nur die größeren Raubvögel und insbesondere die Geier 
scheinen hiervon eine Ausnahme zu machen. 
Der Vogel, dem Stimme und Klang geworden, begrüßt den kommen¬ 
den Morgen mit seinem Gesänge, erst dann beginnt er Nahrung zu 
suchen. Fast alle nehmen zwei Mahlzeiten zu sich, eine am Morgen, eine 
gegen Abend, und widmen die Mittagsstunden der Ruhe, der Reinigung 
15*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.