Full text: Charaktere aus der neuen deutschen Geschichte vornehmlich in zeitgenössischer Schilderung

— 210 — 
Stunde und am rechten Platze alles zur Entscheidung sich zu¬ 
sammenfinde. 
Auf dem Gipfel aller Ehren, mit welchen der oberste Kriegsherr 
den Helden schmückte, der an der Aufrichtung des Kaiserthrones einen 
so wesentlichen Anteil hatte, im vollen Genusse der begeisterten Aner¬ 
kennung oon allen Deutschen im In- und Auslande, die durch seine 
Siege sich wieder gehoben und geeinigt fühlten, bewundert von allen 
Zeitgenossen als einer der ersten Männer des Jahrhunderts, ist er 
immer derselbe demütige, anspruchslose Mann geblieben, der so schlicht 
und einfach unter uns umherging, als wenn er nichts Besonderes gethan 
hätte. Ein Wort, ein Blick, eine Gebärde, welche einen Geringeren ver¬ 
letzen konnte, war ihm unmöglich. 
Er vereinigte in sich, was wir so selten in einer Persönlichkeit 
vereinigt finden. Ein Mann der That, der schon als Erforscher Asiens 
keine Lebensgefahr scheute, ein unerschrockener Krieger, der auch als 
Schlachteulenker sich bei seinen Rekognoszierungen bis über die äußersten 
Schützenlinien vorwagte, ein Mann, der vom Generalstabsgebäude aus 
mit wachsamem Umblick unablässig beschäftigt war, alle Heere Europas, 
alle Änderungen der Waffen und Waffentechnik, alle Erfindungen des 
Festnngsbanes, alle Fortschritte des Verkehrswesens scharf im Auge zu 
behalten, um jede Erfahrung unverzüglich für die Erhöhung der vater¬ 
ländischen Wehrkraft zu verwerten — und bei dieser ununterbrochen 
nach außen gerichteten Wachsamkeit und Wirksamkeit blieb er immer der 
in sich Gesammelte, der denkende Geist, dem ernste Forschung ein Lebens¬ 
bedürfnis war, voll lebendiger Teilnahme an Kunst und Wissenschaft. 
Wenn also schon im Altertum darüber gestritten wurde, welchem Leben 
der Vorzug gebühre, dem beschaulichen Leben des Weisen, der an seinem 
ruhigen Auge die Weltbegebenheiten vorüberziehen sieht, oder dem prak¬ 
tischen Leben des Staatsmannes und Feldherrn, so hat Moltke in 
seltener Weise beides in sich vereinigt, ein unvergleichlicher Zeuge dafür, 
daß bei voller Entwicklung des Denkvermögens die männliche Thatkraft 
unversehrt bleiben kann, und daß es ein Deutscher war, der diese Doppel- 
kraft bis in das höchste Alter sich bewahren konnte, das ist es, wofür 
wir Gott von Herzen danken. 
Moltke ist ein reich begnadigter Mensch gewesen im Leben wie im 
Sterben. Mit dankbarem Gemüt hat er selbst den Segen anerkannt, 
der sein Wirken begleitet hat. Schon bei der Heimkehr von Königgrätz 
hörte man ihn sagen: „Es ist schön, wenn der Herr einem Manne den 
Lebensabend so erhellt, wie er es dem Könige und vielen seiner Generale 
gethan; auch ich bin jetzt 66 Jahre alt und für mein Wirken in diesem 
Leben habe ich einen so herrlichen Lohn erhalten, wie wohl wenige 
Menschen. Wir haben einen Feldzug geführt, der für Preußen, für 
Deutschland, für die Welt eine unermeßliche Bedeutung hat. Gottes 
Gnade hat unser redliches und thatenkrästiges Streben mit glorreichen 
Siegen belohnt. Wir alten Leute aus dem böhmischen Feldzuge 
können uus rühmen, welche harten Kämpfe wir auch in unserem
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.