Full text: Hilfsbuch für den Unterricht in der Geschichte

222 D. Aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte. 
leicht zu erfassen und richtig zu beurteilen. Dabei besaß er ein feines 
Gefühl fürs Recht und achtete streng auf die Befolgung desselben. Er 
betrachtete sich als der von Gott bestellte oberste Wächter der Gerechtigkeit, 
wie er überhaupt, durchdrungen von religiöser Überzeugung, das König¬ 
tum als ein von der Vorsehung ihm übertragenes Amt auffaßte. 
Sorge für die Wohlfahrt des Landes. Heerwesen. Das Heer 
brachte Friedrich Wilhelm I. von 38 000 auf 83 000 Mann, eine für 
das menschenarme Preußen sehr hohe Zahl. Es bestand zumeist aus 
angeworbenen Ausländern, nur die Minderheit waren Landeskinder. 
Zum Zwecke der Heeresergänzung war jedem Truppenteile ein bestimmter 
Bezirk des Staates (Kanton) zugewiesen. Die für den Waffendienst 
bestimmte männliche Jugend desselben wurde bereits im Knabenalter 
zum Regimente enrolliert*) uud erhielt zum Zeichen hierfür eine rote 
Halsbinde. Die tüchtige Ausbildung des Heeres ließ sich der König 
sehr angelegen sein. Häufig wohnte er den Übungen seines Leibregimentes 
bei. Truppenbesichtigungen nahmen einen großen Teil seiner Zeit in 
Anspruch, wenn er die Provinzen bereiste. Sein vornehmster Gehilfe 
im Heerwesen war Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, der „alte Dessauer" 
genannt. Dieser brachte den Gleichschritt und den eisernen Ladestock in 
der preußischen Armee zur Einführung und exerzierte sie so vortrefflich 
ein, daß sie in ihren Übungen jede andere an Schnelligkeit und Genauigkeit 
übertraf. Die Disziplin war sehr streng. Schon geringe Versehen 
wurden mit Stockschlägen geahndet, größere Vergehen mit der grausamen 
Strafe des Spießrutenlaufens belegt; auf Desertion (Entweichen von 
der Fahne) stand der Tod. 
Eine seltsame Vorliebe hatte Friedrich Wilhelm für „lange Kerls". 
Sein in Potsdam garnisonierendes Leibregiment bestand aus wahren 
Riesen. _ Mit großem Kostenaufwands, der zu der sonstigen Sparsamkeit 
des Königs in auffallendem Gegensatze stand, waren sie aus allen Ländern 
Europas durch Werber zusammengebracht worden. Da auch jeder 
Regimentsinhaber bei der Musterung mit einigen langen Flügelleuten 
glänzen wollte, so hatte die Liebhaberei Friedrich Wilhelms die Folge, 
daß bald kein hochgewachsener junger Mann in Europa vor der Lift 
und Gewalt der preußischen Werber mehr sicher war. 
Finanzen. Die Unterhaltung eines so zahlreichen Heeres war 
dem armen Lande nur dadurch möglich, daß sein König es verstanden 
hatte, die Finanzen in die beste Ordnung zu bringen. Er zentralisierte 
mit der gesamten Landesverwaltung auch das Finanzwesen, indem er die 
beiden bisher getrennten Oberbehörden, denen die Aufsicht über die 
Aufbringung und Verwendung der Landeseinkünfte oblag, zu einer einzigen 
verschmolz, dem General-Direktorium, das der Gesamtheit der 
Ministerien der Jetztzeit entspricht. Ihm unterstanden in den Provinzen 
die Kriegs- und Domänenkammern, die jetzigen Regierungen. Auch 
schuf Friedrich Wilhelm die noch heute bestehende Ober-Rechnungskammer, 
*) Sprich: anrolliert — eingeschrieben.
	        
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