Object: Auswahl aus der deutschen Dichtung in ihrer geschichtlichen Entwicklung (Teil 4a = Erg.-Bd. (Poesie))

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235 Also sprach sie und trieb. Und sie folgeten alle gehorsam, 
Trugen des Mahles Gerät in den räumigen Kahn des Verwalters, 
Traten dann selber hinein, und der Knecht stieß ab von dem Ufer. 
Fernher glimmten wie Gold die Fenster der Kirch' und des Schlosses, 
Welche die Sonn' absinkend beleuchtete; rings an den Ufern 
240 Hingen Gebüsch und Saaten, von rötlichem Scheine beduftet, 
Umgekehrt in der Flut und zitterten über zerstreutem 
Glanzgewölk, und die Herd' und die singende Magd bei der Milchkuh. 
Langsam ruderte Hans am Gestad' hin, jetzt um ein Röhricht 
Und braunkolbiges Ried, Seelilien jetzo durchgleitend, 
245 Gelb von Blumen und weiß, breitblätterig, jetzo den Vorgrund, 
Wo hell Muschel und Kies aufschimmerten. Häufig ermahnt' er, 
Wann Luis' im wankenden Kahn an den Jüngling sich anschloß. 
Aber es freute sich Karl der schreienden Wasservögel 
Über dem Holm und des Hechts, der, beglänzt vom Abend, emporsprang; 
250 Auch wie des Ruders gebrochenes Bild in der sanften Umwallung 
Schlängelte; laut dann ruft' er dem Widerhall in des Hügels 
Ödem Gemäur, liebkost' ihm und schalt und lachte der Antwort. 
Heiter und still war allen das Herz wie die spiegelnde Welle, 
Während der Vater vergnügt sein ruhiges Abendpfeifchen 
255 Raucht' und ein Wort einsprach von Gelehrsamkeit und von der Zeitung. 
Oft noch zuckte Luis', an den Jüngling gelehnt, und drückt' ihm 
Ängstlich die Hand. Da begann die alte, verständige Hausfrau: 
„Wie das närrische Mädchen sich anstellt! Ist denn der Kahn nicht 
Groß und breit? Sei ruhig, mein Töchterchen, oder ich wiege! 
260 Sonst so keck und verwegen, wenn's gilt, in die Bäume zu klettern, 
Über die Gräben zu springen und hoch in der Luft sich zu schaukeln 
Oder auch gleiten zu gehn mit Amalia, welche dir gleich ist, 
Auf dem gefrorenen Bach und der Gleitbahn, recht wie die Kinder! 
Schlag ein Tuch um den Hals, dies seidene, das ich dir mitnahm! 
265 Kühl ist's doch auf dem Wasser, und Vorsicht reuete niemand." 
Drauf antwortetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Grünau: 
„Sei nicht bange, mein Kind, und verhülle dich! Besser ist besser, 
Wenn auch das junge Blut noch freudiger hüpft in den Adern. 
Gott sei Dank für den herrlichen Tag und den herrlichen Abend, 
270 Der uns morgende Heitre verkündiget; eben so heiter 
Meld' uns den ewigen Morgen der Abend unseres Lebens!" 
Matt schon glüht' im Westen die Glut; ein Stern nach dem andern 
Trat aus dem Glanz, mit Silber die dunkele Bläue durchfunkelnd, 
Als der rauschende Kahn an der krüpplichen Eiche des Ufers 
275 Landete. Lieblicher Duft umhauchte sie. Aber sie eilten 
Durch die geschorene Wies' und wellige Schwade des Heues, 
Und es erhob Luise den Saum des weißen Gewandes, 
Zeigend den Unterrock und schimmernde Strümps' in der Dämmrung. 
So im Geröchel des Sumpfs und dem einsamen Surren des Käfers, 
280 Längs dem grenzenden Walle, mit Dorn umwachsen und Haseln, 
Gingen sie, wo noch zirpte die Grill' und im Kraute der bläulich 
Wacker, Lesebuch. IV. A. 12
	        
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