Full text: [Teil 4 = Kl. 5 u. 4] (Teil 4 = Kl. 5 u. 4)

218 
Halsberg; der Schwan steuerte gleich einem geschickten Seemann und 
brachte sein Schiff an das Gestade. Karl und der ganze Hof verwunderte 
sich höchlich ob diesem seltsamen Ereignis; jedermann vergaß die Klage 
der Frauen und lief hinab dem Ufer zu. Unterdessen war der Ritter 
erwacht und stieg aus der Barke; wohl und herrlich empfing ihn der 
König, nahm ihn selbst zur Hand und führte ihn gegen die Burg. Da 
sprach der junge Held zu dem Vogel: „Flieg deinen Weg wohl, lieber 
Schwan! Wenn ich dein wieder bedarf, will ich dich schon rufen." 
Sogleich schwang sich der Schwan und fuhr mit dem Schifflein ans aller 
Augen weg. Jedermann schaute den fremden Gast neugierig an; Karl 
ging wieder ins Gestühl zu seinem Gericht und wies jenem eine Stelle 
unter den andern Fürsten an. 
Die Herzogin von Brabant, in Gegenwart ihrer schönen Tochter, 
hub nunmehr ausführlich zu klagen an, und hernach verteidigte sich auch 
der Herzog von Sachsen. Endlich erbot er sich zum Kampfe für sein 
Recht, und die Herzogin sollte ihm einen Gegner stellen, das ihre zu 
bewähren. Da erschrak sie heftig; denn er war ein auserwählter Held, 
an den sich niemand wagen würde; vergebens ließ sie im ganzen Saale 
die Augen umgehen, keiner war da, der sich ihr erboten hätte. Ihre 
Tochter klagte laut und weinte; da erhob sich der Ritter, den der 
Schwan ins Land geführt hatte, und gelobte, ihr Kämpfer zu sein. 
Hierauf wurde von beiden Seiten zum Streit gerüstet, und nach einem 
langen und hartnäckigen Gefecht war der Sieg endlich auf seiten des 
Schwanritters. Der Herzog von Sachsen verlor sein Leben, und der 
Herzogin Erbe wurde wieder frei und ledig. Da neigten sie und die 
Tochter sich vor dem Helden, der sie erlöst hatte, und er nahm die ihm 
angetragene Hand der Jungfrau mit dem Beding an, daß sie nie und 
zu keiner Zeit fragen solle, woher er gekommen, und welches sein Geschlecht 
sei, denn sonst müsse sie ihn verlieren. 
Der Herzog und die Herzogin bekamen zwei Kinder, die waren 
wohl geraten; aber immer mehr fing es an, ihre Mutter zu drücken, 
daß sie gar nicht wußte, wer ihr Vater war, und endlich tat sie an 
ihn die verbotene Frage. Der Ritter erschrak heftig und sprach: „Nun 
hast du selbst unser Glück zerbrochen und mich am längsten gesehen." 
Die Herzogin bereute es, aber zu spät; alle Leute sielen zu seinen Füßen 
und baten ihn zu bleiben. Der Held waffnete sich, und der Schwan 
kam mit demselben Schifflein geschwommen; darauf küßte er beide Kinder, 
nahm Abschied von seinem Gemahl und segnete das ganze Volk; dann 
trat er ins Schiff, fuhr seine Straße und kehrte nimmer wieder. Der 
Frau ging der Kummer zu Bein und Herzen, doch zog sie fleißig ihre 
Kinder auf. Von diesen Kindern stammen viel edle Geschlechter, die 
von Geldern sowohl als Cleve, auch die Rieneker Grafen und manche 
andre; alle führen den Schwan im Wappen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.