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Geschichte der Hellenen.
Alexander, ihren König, ins Feld zu rücken, um dann von ihm besiegt zu
erkennen, daß sie ohne ihn nichts seien.
Sobald dieser Befehl des Königs im Lager bekannt wurde, hielten sich
die alten Truppen nicht länger; sie liefen nach dem Königsschloß, legten ihre
Waffen vor den Thoren nieder, zum Zeichen ihrer Unterwerfung und ihrer
Reue; vor den geschlossenen Thoren stehend schrieen und flehten sie, hinein¬
gelassen zn werden, nm die Urheber des Aufruhrs auszuliefern: sie würden
Tag und Nacht nicht von hinnen weichen, bis sich der König erbarme.
Nicht lange, und der König trat heraus; da er seine Veteranen so in
Nene sah, da er ihren Freudenruf und ihr erneutes Jammern hörte, vermochte
er nicht, seinen Thränen zu wehren; dann trat er näher, um zu ihnen zu
sprechen; sie drängten sich um ihn und hörten nicht auf mit Flehen, gleich als
fürchteten sie das erste Wort ihres vielleicht noch nicht erweichten Königs.
Ein alter, geachteter Offizier, einer der Hipparchen der Ritterschaft, Kallines,
trat hervor, im Namen aller zn sprechen: Was die Makedonen vor allem
schmerze, sei, daß er Perser zu seinen Hetären gemacht habe, daß Perser sich
nun Alexanders Verwandte nennen und ihn süssen dürften, und von den
Makedonen sei nie einer dieser Ehre teilhaftig worden. Da rief der König:
„Euch alle mache ich zu meinen Verwandten und nenne euch also von Stund
an!" Er ging aus Kallines zu, ihn zn küssen; und es küßte ihn von den
Makedonen, wer es wollte; sie nahmen ihre Waffen auf und zogen jauchzeud
in ihr Lager zurück. Alexander aber gebot, zur Feier der Versöhnung ein großes
Opfer zu bereiten, und opferte den Göttern, denen er pflegte. Dann wui§e ein
großes Mahl gehalten, an dem säst das gesamte Heer teilnahm, in der Mitte der
König, ihm zunächst die Makedonen, nach diesen die Perser, und weiter viele von
den übrigen Völkerschaften Asiens; der König trank aus denselben Mischkrügen
mit seinen Truppen und spendete mit ihnen die gleichen Spenden; hellenische Seher
und die persischen Magier vollzogen dazu die heiligen Gebräuche. Der Triukspruch,
den der König sprach, war, daß die Götter alles Heil gewähren möchten, vor
allem aber Eintracht und Gemeinschaft des Reiches den Makedonen und Persern.
Es soll die Zahl derer, die an diesem Mahle teilnahmen, neuntausend gewesen
sein; und diese alle spendeten zu gleicher Zeit und sangen den Lobgesang dazu.
So der Ausgang dieser schweren Krisis; es war das letzte Aufbäumen
des altmakedonischen Wesens, in seiner eigensten und gewichtigsten Gestaltung;
nun war es moralisch bewältigt. Die Maßregeln, denen es erlegen war, gaben
diesem Siege Alexanders eine doppelte Wichtigkeit. Der Vorzug, den der
König der makedonischen Kriegsmacht bisher hatte zugestehen müssen, war
abgethan, asiatische Truppen traten in die Namen und Ehren des altmake-
douischeu Heeres ein; es gab fortan zwischen Siegern und Besiegten keinen
andern Unterschied, als den des persönlichen Wertes und der Treue für den König
Die Veteranen kehrten, 10 000 an Zahl, reich beschenkt in die Heimat zurück.