Object: Literaturdenkmäler des klassischen Altertums

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Schlamm und häßliches Moos; es war der Altar ohne Feuer. 
Und es betrat die Stufen das Paar, sank nieder aufs Antlitz, 
Mann und Weib, und küßte das kalte Gestein mit Erzittern. 
Also flehten sie beid: „Ist 's möglich, lassen die Götter 
Sich erweichen durch rechtes Gebet, umstimmen zur Gnade: 
Themis, so sprich, wodurch der Verlust der Sterblichen heilbar 
Sei, und rette die Welt, o du Gütige, nun aus der Sintflut!“ 
120 Und die Göttin wurde gerührt: „„Verlaßt nun den Tempel!““ 
Sprach sie, „„verhüllet das run und löst die gegürteten Kleider! 
Werft sodann die Gebeine der großen Mutter näch rückwärts!““ 
Lange stauneten sie; nun brach die schweigende Stille 
Pyrrha zuerst und versagte dem Götterspruche Gehorsam; 
25 Und um Verzeihung bittet ihr us Mund; denn sie fürchtet, 
Wenn sie wirft die Gebeine, der Mutter Schatten zu kränken. 
Lange denken sie nach, wiederholen die dunkelen Worte 
Jenes göttlichen Spruchs und erwägen sie wohl mit einander. 
Endlich beruhigt der Sohn des Prometheus die ängstliche Gattin, 
80 Also redend: „Entweder bin ich in Torheit verblendet, 
Oder es ist das Orakel gut, pn keinen Frevel. 
Mutter ist ja die Erd', und die Stein' in dem Leibe der Erde 
Sind, wie mir deucht, das Gebein; dies sollen wir hinter uns werfen.“ 
Ihres Gemahles Deutung vernahm zwar froh die Utanin, 
185 Nurx war in Zweifel die nn so sehr mißtrauen sie beide 
Noch dem Göttergebot. Doch wird ein Versuch ihnen schaden? 
Talwärts gehn sie, ailn das Haupt und entgürten die Kleider, 
Heben die Stein', wie befohlen, und werfen sie hinter den Rücken. 
Siehe, die Steine (wer glauͤbt' es, wenn's nicht das Alter bezeugte?) 
140 Legten allmählich die Härte ab und die trotzende Starrheit, 
Wurden geschmeidig mehr und mehr und nahmen Gestalt an. 
Dann als wäachsend sie schwollen und milderes Wesen bekamen, 
Sah man langsam entstehn — noch waren nicht deutlich die Formen — 
Menschengestall: wie beim Marmor die erste, rohere Arbeit, 
u4s Wenn nur angedeutet das Bild und noch nicht vollendet. 
Welcher Teil des Gesteins mit etwas Safte 
War und der Erde verwandt, der gab dem Leibe die Glieder; 
Alles, was unbiegsam, das wird in Knochen verwandelt; 
Alle Adern des Steins, die bleiben auch Adern im Körper. 
i Und es dauert' nicht lan so gewann durch die Gnade der Götter 
Alles Gestein, das der Mann aussendete, männliche Bildung, 
Und es wurde zum Weib jeder Stein, den die Phrrha entsandte. 
Drum sind wir ein hartes Geschlecht, ausdauernd zur Arbeit; 
Unsre Natur bezeugt, daß aus Steinen wir alle geworden.
	        
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