fullscreen: [Geschichte des Alterthums] (Theil 1)

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das Profil der schönsten weiblichen Bildung. Die Schlangen selbst schei¬ 
nen sich nur wie eine unheimliche Zierde durch die langwallenden Haare 
zu schlingen. Der Mund öffnet sich dem letzten entschwindenden Lebens¬ 
odem, in den Zügen des Antlitzes wohnt tiefe, wehmuthsvolle Trauer öder¬ 
em seelenloses Grauen oder ein Hauch ersterbenden Genusses." Das 
Schrecklichste, was die Phantasie ersinnen konnte, wußte die griechische 
Kunst mit dem Zauber der Schönheit zu verklären. 
Unter dem Namen der äginetischen Bildwerke begreift man 
die höchst bedeutenden Reste von den Skulpturen eines Tempels auf der 
Insel Aegina *). Götter - und Heroengruppen, welche die Giebelfelder 
des Tempels schmückten, den Tod des Laomedon und den Kampf um den 
Leichnam des Patroklos vorstellend, der unter dem Gewichte des Helmes 
ruht, wie es in Homer heißt: 
,,So wie der Mohn zur Seite das Haupt neigt, welcher im Garten 
Steht vom Wuchs belastet und Regenschauer des Frühlings, 
Also neigt er zur Seite das Haupt, vom Helme beschweret." 
Die äginetischen Bildwerke gehören einer späteren Zeit und einer 
weit vorgeschritteneren Kunstentwickelung an, als diejenigen von Selinus. 
Es ist hier das Festhalten an gegebenen Formen mit einem gewissenhaften 
Naturstudium und einem unverkennbaren Streben nach Beweglichkeit aus 
wundersame Art vereinigt. „Das Leben ist da, aber noch fehlt die Seele!" 
Es ist hier bereits die Brücke gebaut, welche die Kunst aus den Gipfel 
ihrer Blüthe führen sollte. Nun gab es kein Hinderniß mehr,, welches 
die Entwickelung in ihrem raschen Zuge hätte aufhalten können. 
Auf den Inseln wie auf dem Festland bildeten sich allenthalben 
Kunstschulen, so ans Kreta, Chios, Samos, Aegina; in Sikyon, 
Argos, Korinth. Die einzelnen Künstler dieser Epoche, so viel 
ihrer bekannt sind, mit Namen zu nennen, ist hier nicht der Ort. Genug, 
daß von nun an Athen der Lichtpunkt von Griechenland, der Sammel¬ 
platz aller höheren geistigen Bildung, die herrschende Stadt und der Mit¬ 
telpunkt der bildenden Künste war. 
Der mächtige Umschwung, welcher im fünften Jahrhundert die grie¬ 
chische Plastik aus die Höhe der Vollendung erhob, wurde besonders durch 
die inneren und äußeren Folgen jenes denkwürdigen Kampfes mit den 
Persern herbeigeführt, welcher den Glanzpunkt der griechischen Geschichte 
bildet, indem durch ihn die Freiheit und Blüthe des europäischen Lebens 
aus den Händen roher Barbaren gerettet ward. Der harte Vernichtungs¬ 
kampf und die glorreiche, aber nicht ohne den Beistand der Götter errun¬ 
gene Beendigung desselben hatte den Glauben an die hülfreiche Macht der 
heimischen Götter gestärkt und zugleich in der Brust des Griechen ein 
*) Sie wurden im Jahr 1811 entdeckt und nehmen nun, von Thorwaldsen 
restaurirt, den dritten Saal der Münchner Glyptothek ein.
	        
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