§ 2 Zustände bei den Germanen.
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den guten Göttern, benutzte seine Macht über das segenspendende Feuer zum
Verderben der anderen und musste den Sohn Wodans, den jugendschönen
Frühlingsgott Balder, hinterlistig zu beseitigen. Seine Tochter ist Hel,
„die Verhehlende" („Hölle").
Außer von den Göttern wußten die Germanen von einer ganzen Reihe 9iatl^)e0btet“titen
minder mächtiger, aber doch übermenschlicher Wesen zu erzählen. Riesen,
die Verkörperung der ungebändigten Naturkräfte, wohnten am Meer, Göttern
und Menschen Ärgernis bereitend. Zwerge hausten in der Tiefe des Berges,
Nixen im Wasser, Waldfrauen im Forste; diese sind den Menschen oft
gefährlich, während die Elben und Wichte ihnen vielfach freundlich ge¬
sinnt sind.
Den Göttern wurden Opfer und Gebete dargebracht; daran schloß sich Götterdienst,
ein gemeinsames Mahl. Unter den Opfertieren war das Pferd beliebt; aber
auch Menschenopfer gab es. Ehe die Cimbern in die Schlacht zogen, töteten sie
den Göttern zu Ehren Gefangene; aus ihrem in einen Kessel rinnenden
Blute weissagten die Priesterinnen über den Ausgang des Kampfes. Tempel
erbaute man den Göttern selten, sondern verehrte sie meist in heiligen Hainen
oder ans den Gipfeln der Berge (z. B. Donnersberg ^Donarsberg). Ebenso¬
wenig schuf man sich plastische Abbilder von ihnen. Dagegen hatte man
heilige Sinnbilder, die eine Gottheit andeuten sollten; so war ein Speer
das des Kriegsgottes. Einen geschlossenen Priesterstand gab es nicht. Jeder
Familienvater war der Priester seines Hauses; zu dem der Gemeinde nahm
man gern den ältesten Freigeborenen. Priester und weise Frauen verkün- Weissagung,
deten den Willen der Götter. Weithin berühmt war bald nach der Mitte des
ersten nachchristlichen Jahrhunderts Veleda, die im Westfalenlande wohnte.
Überhaupt sahen die Germanen in den Frauen etwas Heiliges und schrieben
ihnen die Gabe der Weissagung zu; darum verschmähten sie ihren Rat nicht
und ließen ihre Aussprüche nicht unbeachtet.
6. Germanische Eigenart. Die Germanen waren ein ganz anderer Eigenschaftender
Menschenschlag als die Völker des Südens und Westens. Hochgewachsen, von a te" eu‘ en'
gewaltiger Kraft, erschienen sie neben den Römern als die Sprossen eines
Riesengeschlechtes. Trotzig und furchtlos war der Blick ihrer blauen oder
grauen Augen, ihr Haupthaar war meist blond oder rot. Weil es die Ge¬
setze geboten oder der Feldherr rief, zog der Grieche und der Römer in den
Krieg: dem Germanen aber war Kampf und Streit eine Lust und
Freude. Die Frauen beseelte dieselbe mannhafte Gefinuuug; durch an¬
feuernde Worte oder durch Spott trieben sie von der Wagenburg aus zurück¬
weichende Kämpfer auf die Walstatt zurück. Dem kriegerischen Sinne der
Germanen kam ihre Treue gleich; sie zeichnete vor allem den Gefolgsmann
aus. Freilich hielt man die Treue mehr dem einzelnen als dem ganzen
Volke; massenhaft kämpften Germanen in fremdem Sold oder, von Zwie¬
tracht verblendet, gegen ihre eigenen Stammesgenossen, und gar zu gern
ahmte man die Sitten und Gewohnheiten anderer Völker nach, eine Neigung,
die ein Erbübel der Deutschen bleiben sollte. Gefährlich war der Hang zu
Absonderung und Unbotmäßigkeit, der die Nation zerklüftete. Im
großen und ganzen waren die Germanen damals noch ein rohes Naturvolk,
aber doch so reich an Kräften des Geistes und Körpers, daß ihnen eine große