Full text: Erzählungen aus der Sagenwelt des klassischen Altertums und aus der ältesten Geschichte der Griechen und Römer (Teil 3: Ergänzungsheft)

4. Solon 
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der Insel gegenüber lag; hier wurden sie niedergehauen, und er be¬ 
mächtigte sich dann der Insel. 
Die dankbaren Athener wählten bald darauf Solon zum Archonten Gesetzgebung, 
und gaben ihm außergewöhnliche Macht, damit er ihre Gesetze von 
Grund aus verbessere. Das tat er denn auch. Er teilte die Athener nach 
der Größe ihres Besitzes in vier Klassen und gab jeder ihre besonderen 
Rechte und Pflichten. Sogar die vierte Klasse der Tagelöhner und 
Handwerker hatte das Recht, in der Volksversammlung mit abzustim¬ 
men, sie brauchten aber keine Kriegsdienste zu tun. Bor allem aber 
setzte er es durch, daß die reichen und vornehmen Athener den armen 
Landleuten in Attika all ihre Schulden erlassen mußten. Durch diese 
seine milden und weisen Gesetze legte er den Grund zur künftigen Größe 
Athens. Als er sein Werk vollendet hatte, ging er auf Reisen, kehrte 
aber nach vielen Jahren in seine Vaterstadt zurück und starb auch dort, 
hochgeehrt von seinen Mitbürgern. 
Auf seinen Reisen war er auch nach Kleinasien gekommen, dessen ©°t°n 
ganze Westküste bis an den Fluß Halys Krösus, der König von Ly-unb 
dien, beherrschte. Der hatte in seiner Hauptstadt Sardes so gewaltige 
Schätze angehäuft, daß er für den reichsten Mann der ganzen Welt 
galt und noch heute jemand, der sehr viel Geld besitzt, ein „Krösus" 
genannt wird. 
Krösus nahm den weisen Athener gastfreundlich auf. Nach der 
Bewirtung befahl er seinen Dienern, Solon seine Schatzkammer mit 
all ihrem Gold und Silber und all den herrlichen Schmuckgegenständen 
zu zeigen. Als Solon alles gesehen hatte, fragte ihn Krösus, ob er 
von all den Menschen, die er kenne, einen für den glücklichsten halte. 
Solon erwiderte ihm: „Ja, König, den Athener Tellus." 
Da wunderte sich Krösus und fragte erstaunt: ,,Warum hältst du Tellus. 
gerade den Tellus für den glücklichsten Menschen?" Jener aber sprach: 
„Tellus lebte zu einer Zeit, wo seine Vaterstadt in großem Ansehen 
stand; er besaß edle und wohlerzogene Söhne, die auch sämtlich wohl¬ 
geratene Kinder hatten, und keins von allen starb vor ihm; nrtd er 
fand nach einem glücklichen Leben ein herrliches Ende. Als nämlich 
die Athener mit ihren Nachbarn Krieg bekamen, trug er in der Schlacht 
durch seine Tapferkeit am meisten zum Sieg bei und starb im Kampfe 
den Heldentod. Die Athener bestatteten ihn an derselben Stelle, wo 
er gefallen war, auf Staatskosten und ehrten sein Andenken." 
„Und wen hältst du nach diesem für den glücklichsten?" fragte Krö- m-obis 
fus weiter. „Den Kleobis und den Bi ton. Denn diese beiden argi- unb 5811011 
bischen Jünglinge hatten, was sie zum Leben brauchten, und besaßen
	        
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