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Gewitterschauer waren die Freiheitskriege über das Volk gekommen und
hatten die verborgenen Kräfte des Volksgeistes geweckt. Sie sangen Lieder,
Barditus nennt sie Tacitus, welche den Muth entflammten und mit Sreges-
gewißheit erfüllten. Er nennt diese Lieder wahre Ausbrüche unbändiger
Kampfeslust. Auch größere Heldenlieder gab es zum Preise der Tapferkeit.
Sie wurden in den Gelagen gesungen, bevor die Krieger zur Schlacht
zogen. In solchen Liedern ward Arminius gefeiert. Auf die Beschaffenheit
dieser ältesten Dichtung können wir freilich aus den jetzt vorhandenen, um
sieben und acht Jahrhunderte jüngeren Bruchstücken altdeutscher Poesie kaum
zurückschließen. Aber gewiß war die Sprache wo möglich noch tönender,
urkräftiger, das alliterirende Wiederholen der Laute — die wie Schilde
und Speere im Tact zusammenschlugen — noch gewaltiger. Durch Mark
und Bein gingen diese Gesänge dem Hörer; sie erfüllten den Germanen
mit Siegesmuth, den Römer mit Schrecken. Um den Schall des Schlacht¬
gesanges zu verstärken, hielten sie die Schilde an den Mund, so daß es
den Römern wie übernatürliches Getöse, nicht wie menschlicher Gesang er¬
schien. Dieser Musik mochte der Tanz entsprechen, auch bei den Germanen
die älteste aller Künste. Er war kriegerisch-religiös. Die Jünglinge
führten nackt zwischen Schwertern und Framen ihre Tänze zu Ehren des
Kriegsgottes auf.*)
Die Poesie war übrigens ein Gemeingut des Volkes, wie das Recht
und der Gottesdienst. Eine besondere Sängerzunft, wie die celtischen
Barden oder die seandinavischen Sealden, gab es bei den Germanen nicht.
Kriegsruhm und Gesangesgabe zierten denselben Mann, der zu Hause Priester,
in der Gemeinde Richter war. Glaube, Poesie und Recht, Priester-, Sänger¬
und Richteramt flössen aus einer und derselben Quelle, aus dem freien,
durch keine Schranke gehemmten Geiste der Nation.**)
Wetigion der Germanenf).
Was wir von der Religion unserer Urväter aus den Schriften der
Alten und einheimischen Denkmälern erfahren, ist sehr wenig, kann aber
glücklicherweise aus den uns erhaltenen Religions- und mystischen Schriften
der Skandinavier, aus der Edda (zu Deutsch: Urgroßmutter), der
„nordischen Bibel" ergänzt werden. Es ist oben erwähnt worden, daß die
Germanen vor ihrer Einwanderung in Deutschland eine Zeit lang in Skan-
*) Die Männer schwangen da zuerst nach einem dreimaligen Umtanz die Schwerter
in den Scheiden in die Luft, zogen dann blank und bewegten sich unter Lufthieben
nach bestimmter Form durch einander, so daß ihre Klingen eine sechseckige Rose
bildeten. Plötzlich lösten sie diese wieder auf und über dem Kopfe jedes Einzelnen
zeichneten sie im Fechten eine viereckige Rose. Dann bewegten sie sich heftiger
und rascher, schlugen die Schwerter gegeneinander und beendeten mit einem raschen
Rückwärtssprunge das schöne Kampfspiel, zu dem Gesang und Musik ertönten.
So war es wenigstens im Norden, freilich in viel späterer Zeit. Weinhold, nor¬
disches Leben, 466 ff.
**) Vergl. die klassische Darstellung G. Freitags: Aus der Römerzeit in „Bilder
aus dem Mittelalter", I. S. 27 ff.
f) Sugenheim, Geschichte des deutschen Volkes und seine Cultur I. 58. Die
Darstellung Sugenheims beruht auf den grundlegenden Arbeiten von I. Grimm,
deutsche Mythologie; Simrock, Handbuch der deutschen Mythologie und Lüning,
Einleitung zu seiner Ausgabe der Edda. Sch.