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Toten, Sterbenden, Freunden und Feinden vermengt, nach Hilfe und Rettung 
jammernd, ohne solche zu finden. Tausende erlagen den Qualen der Wunden, 
dem Hunger und Durst bei Tage, dem Frost der kalten Oktobernächte, ehe sie 
in die eilig eingerichteten Hospitäler geschafft werden konnten. Entsetzlich ist, 
was der von Berlin herbeigeeilte Dr. Reil über die Leiden der Verwundeten 
an den Minister Stein erzählt. Am 25. Oktober kam der Genannte in Halle 
an; mehr als 7000 Verwundete fand er in der Stadt, und auf dem Wege 
nach Leipzig begegneten ihm ununterbrochen neue Züge von Verwundeten. 
Noch an diesem Tage, sieben Tage nach der Schlacht, wurden vom Schlacht¬ 
felde Verwundete eingebracht, deren unverwüstliches Leben sich durch Hunger 
und Durst und Kälte hindurchgerettet. Die Einrichtung der Lazarette in 
Leipzig fand er traurig, kein einziges Bürgerhaus hatte man eingeräumt; in 
Schulen, Kirchen und anderen öffentlichen Gebäuden lagen die Verwundeten 
eingeschichtet, wie Heringe, noch alle in der blutenden Kleidung, in der sie 
gekommen. Es fehlte an Ärzten, an Verbandzeug, selbst an Stroh. Die 
Armen, die mit gebrochenen Armen und Beinen auf nackter Erde lagen, waren 
verloren. Mit Binden aus Dürrenberger Salzsäcken verband man an manchen 
Orten die eiternden Wunden; Dachschindeln nahm man zum Schienen der 
zerbrochenen Glieder. Unberufene, ungeübte junge Leute versuchten sich an 
den Gliedern der Helden in der Kunst des Ampntierens. Die Ernährung 
war unzulänglich; viele gingen an ihr zu Grunde. Ja schrecklich zu sagen! 
auf dem Hofe der Bürgerschule fand Dr. Reil Leichen unter Kehrichthaufen. 
So entheiligte man die Reste der Helden, die sür's Vaterland gefallen! 
Dr. Reil schaffte unermüdlich; er brachte Hilfe, bis er selbst ein Opfer 
des Nervenfiebers ward, das in Leipzig wütete. Da endlich gedachte auch 
die Bürgerschaft ihrer Pflicht; die Bürgerhäuser thaten sich auf und Frauen 
und Jungfrauen pflegten noch manchen der Verwundeten gesund. — 
Die Feuer, die sonst am 18. Oktober von den Bergen glänzten, um den 
Enkeln von der Völkerschlacht zu sagen, sind erloschen, seitdem die Feuer des 
2. September glänzen. Aber über neuen Siegen und ihren Opfern vergeffe 
die deutsche Jugend nicht, was an Opfern der Sieg gekostet in der Leipziger 
Völkerschlacht! 
Auf einem Balle in Wiesbaden am 30. November war auch der König 
von Preußen erschienen. Es fehlte auch hier nicht an der Stätte der Freude 
an ergreifenden Szenen. Unter den Anwesenden war ein Offizier vom 
Iorck'schen Korps mit noch verbundenem Kopfe; drei seiner Brüder waren 
gefallen; ein vierter hatte den Arm verloren. Der König kam einige Male 
in seine Nähe, als wolle er mit ihm sprechen; endlich redete er ihn an: „Ihre 
Familie hat viel verloren, brave Männer, die dem Vaterlande noch große 
Dienste hätten leisten können; habe großen Teil daran genommen, hat mir 
sehr leid gethan, sehr leid." Auf die Entgegnung, daß wie diese, so jede 
preußische Familie gern Blut und Leben für Se. Majestät gebe, antwortete 
der König: „Nicht für mich, nicht für mich! Der Gedanke wäre nicht zu 
ertragen; aber nach Gottes Willen für die gerechte Sache und das Vaterland, 
— ist auch das Einzige, was einen bei so großen Verlusten trösten kann."
	        
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