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undeutlich. Die Sperlinge flogen unruhig um die Baumwipfel; die Schwal¬
ben fuhren längs dem Boden und zogen ihre Kreife um die Menschen.
Die Freunde suchten ihr Zimmer auf; auch hier empfand man die ermat¬
tende Schwüle. Das Mittagsmahl war stiller als sonst; der Landwirt sah
ernst drein. Seine Verwalter nahmen sich kaum Zeit, die Teller zu leeren.
Beim Aufstehen sagte der Hausherr zu seiner Tochter: „Ich reite an die
Grenze; bin ich nicht vor dem Wetter zurück, so sieh nach Haus und Hof."
Und wieder zogen Menschen und Rosse ans das Feld, aber heute
war ihnen der Weg zur Arbeit sauer. Die Hitze wurde unerträglich, die
Nachmittagsonne brannte auf die Haut, Fels und Mauer fühlten sich
heiß an. Den Himmel überzog ein weißes Gewölk, das sich zusehends
verdichtete und zusammenfuhr. Eifrig trieb der Knecht die Pferde zur
Scheuer. Die Arbeiter hasteten, die Garben abzuladen. In schnellem Trabe
fuhren die Wagen, noch eine Ladung unter das schützende Dach zu retten.
Die Freunde standen vor der Hoftür und blickten auf die schweren
Wolken, die vom Himmelsrande heraufzogen. Das gelbe Sonnenlicht
kämpfte kurze Zeit gegen die dunkeln Schatten der Höhe. Endlich ver¬
schwand auch der letzte grelle Schein; glanzlos und trauernd lag die Erde.
3. Die ersten Stöße des Windes fuhren heulend an das Haus.
„Ich muß durch den Hof, zum Rechten sehen", rief Ilse, band ein Tuch
um das Haupt und drang gegen den Sturm vorwärts zu dem Hofgebäude,
in dem die Spritze stand. Sie sah nach, ob die Tür geöffnet und Wasser
in den Tonneil war. Dann eilte sie vorwärts nach den Ställen, während
die Strohhalme in Wirbeln um sie herumfuhren, mahnte die Mägde durch
muntern Zuruf unb kehrte nach dem Hause zurück. Sie warf einen Blick
in die Küche und nach dem Herde und öffnete die Tür des Kinderzimmers,
um zu sehen, ob alle Geschwister versammelt wären. Zuletzt ließ sie auch
den Hund herein, der an der geschlossenen Haustür ängstlich bellte, und
trat dann wieder zu den Freunden, die vom Fenster der Wohnstube in
den Aufruhr der Elemente blickten.
4. Langsam wälzte sich das Wetter näher. Eine schwarze Masse nach
der andern schob sich heran. Unter ihnen stieg ein fahler Dunstschleier
wie ein ungeheurer Vorhang höher und höher. Der Donner rollte; kürzer
wurden die Pausen, wilder sein Dröhnen. Der Sturm heulte um das
Haus und jagte dicke Staubwolken um die Mauern. Blätter lind Halme
flogen in wildem Tanze dahin.
Ein tüchtiges Wetter tobte um das alte Haus. Während der Dolmer
rollte, ward es plötzlich finster in der Stube wie bei eiubrechender Nacht,
und immer wieder wurde die unheimliche Dämmerung durch den Schein
der feurigen Schlangen zerrissen, die über den Hof dahinfuhren. In der
Kinderstube war es laut geworden, man hörte das Weinen der Kleinen.
Ilse ging an die Tür und öffnete. „Kommt zu mir!" rief sie. Ängstlich
liefen die Kinder herein und drängten sich um ihre Schwester. Sie faßten
ihre Hände, die jüngsten klammerten sich an ihr Gewand.