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baten ihn, noch zu warten, aber er hielt es für lächerlich,
jetzt noch mit dem Leben zu geizen. „Wie muß ichs machen?"
fragte er den, welcher den Giftbecher brachte. „Du mußt
trinken und dann umhergehen, bis dir die Füße schwer wer¬
den und dich dann niederlegen." Er nahm den Becher mit
voller Heiterkeit und ohne eine Miene zu verändern; vielmehr
sah er den Menschen mit seinem gewöhnlichen scharfen Blick
an. „Ist es wohl erlaubt, den Göttern zu spenden?" fragte
er. Man sagte ihm, es werde nur so viel eingerieben, als
zum Trinken nothwendig sei. „Gut," erwiederte er, „so wol¬
len wir wenigstens beten, daß der Uebergang dorthin glück¬
lich von Statten gehe." Bei diesen Worten leerte er, fest
anhaltend, den Becher.
Bei diesem Anblick konnten sich seine Freunde der Thrä¬
nen nicht länger erwehren, sie weinten und rangen die Hände.
Er aber hieß sie ruhig sein, denn darum habe er ja die Wei¬
ber weggeschickt. Er ging indeß aus und ab, und als er
Mattigkeit fühlte, legte er sich nieder und verhüllte sein
Gesicht. Nach einiger Zeit befühlte ihm der, welcher das Gift
gereicht hatte, die Füße, drückte sie stark und fragte ihn, ob
er's fühle. „Nein," sagte der Sterbende. Dann ging er
prüfend vorwärts und zeigte den Umstehenden, wie er kalt
und starr werde. Da nun schon der Unterleib anfing kalt zu
werden, deckte er sich noch einmal auf und sagte zu Kriton:
„Wir sind dem Asklepios einen Hahn schuldig. Opfert ihn
ja und versäumt es nicht." Kriton fragte ihn, ob er noch
etwas zu sagen habe, aber er antwortete nicht mehr. — Dies
war das Ende des besten, weisesten und gerechtesten aller
Griechen (399 v. Chr.).
XXIX.
Agesilaos.
Nach dem Tode des Spartanischen Königs Agis hätte
eigentlich dessen Sohn Leotychides in der königlichen Würde
folgen sollen. Dennoch bestieg durch den Einstuß des damals
so mächtigen Lysander der lahme Agesilaos den Thron,