11. Neuer Aufschwung des Bürgertums und der Städte. 
Erstaunlich sind die Fortschritte, die der Deutsche in den letzten 
150 Jahren gemacht hat. Auf allen Gebieten der Bildung, der 
geistigen, sittlichen und gesellschaftlichen, im politischen und wirtschaft¬ 
lichen Leben hat sich eine großartige Besserung vollzogen, durch die 
das „Volk der Denker und Dichter" zu einer mächtig entwickelten 
Nation geworden ist. Der Deutsche wuchs an der Hand des Fremden, 
aber er mußte zunächst durch jene Zeit der Verbildung, in der 
freilich sehr viele fruchtbare Keime gelegt wurden, hindurchgehen. 
Die an fremden Mustern erwachsene Bildung wurde eine durchaus 
nationale; sie stellte das erste zusammenfassende Band für die 
zerrissene Nation dar. Der Träger dieser nationalen Kultur wurde 
wieder der Bürg er st and. „Wo käm die schönste Bildung her," 
sagt Goethe, „wenn sie nicht vom Bürger wär?" Man mutz die Trieb¬ 
kraft des deutschen Bürgertums bewundern, die, an Händen und Füßen 
gefesselt, nicht erstarb, sondern unentmutigt und rüstig vorwärts strebte. 
In dem gesunden Volkstum, das sich auch unter der unbeschränkten 
Fürstenherrschaft und der höfischen Bildung im Bürgerstande erhalten 
hatte, waren für die neue Kultur die Anknüpfungspunkte gegeben. 
Von der Mitte des 18. bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts 
vollzog sich vor allem auf dem Gebiete der geistigen Kultur ein 
mächtiger Aufschwung. Von der Äußerlichkeit der höfischen Bildung 
flüchtete man sich ins Innere. Dem Bedürfnis nach innerer (Erhebung 
und Tröstung kam die religiöse Richtung des Pietismus entgegen. 
Die Bekämpfung der gesellschaftlichen Unsitten der „galanten" Welt 
übernahm die Aufklärung (Nationalismus), die sich die Bildung 
des Verstandes und die Pflege der Tugend als Ziel setzte. Die Ver¬ 
drängung der Fremdsprache und Einsetzung der Muttersprache in ihre 
Rechte suchten die Sprachgesellschaften (Gottsched) zu erreichen. 
Die Volksbildung durch Hebung der Volksschulen zu fördern, bemühten 
sich menschenfreundliche Fürsten (Friedrich II., Maria Theresia, Mai 
Joseph von Bayern) und begeisterte Reformer (Rochow, Pestalozzi). 
Es war eine herrlich strebende, von Idealen erfüllte Zeit, aber 
sie hat für die Geisteskultur der Deutschen auch Außerordentliches er- 
£ W bie Zeit unserer großen klassischen Literatur, die Zeit 
eines Lesfmg, Goethe, Schiller, die klassische Zeit der deutschen Musik 
Humboldts03011, 93ee^°0en)' bie Z^t der deutschen Wissenschaft (Kant, 
Die Aristokratie des Geistes", die im Bürgertum ihre Wurzeln 
hatte, erlangte über die „Aristokratie der Geburt" das Übergewicht. 
Dadurch und unter Einwirkung der Ideen der französischen Revolution 
vollzog sich ein Umschwung in den gesellschaftlichen Zuständen 
Hofmann, Die deutsche Kultur. 10
	        
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