Vorschriften nicht immer oder vielmehr nur selten beachtet worden,
so trägt daran nicht das Gesetzbuch, sondern der Haß der Romanisten
gegen das deutsche Recht, die Roheit der Richter und die Verwilderung
der Zeiten die Schuld. Der religiöse Fanatismus und Aberglaube,
der damals das Volk beherrschte, die gierige Habsucht der Richter und
ihrer Gehilfen, die sie dazu trieb, aus ihrem Amte soviel Vorteil
als möglich herauszupressen, haben die Grausamkeit der Gerichtssäle,
Folterkammern und Richtplätze des 16. und 17. Jahrhunderts ver¬
schuldet.
Es entsprach dem religiösen Geist der Zeit, daß in der Carolina
jedes Verbrechen unter dem Gesichtspunkt einer Versündigung wider
Gott und seine heilige Ordnung aufgefaßt wurde. Darum finden wir
auch an der Spitze der Strafparagraphen den von der Gotteslästerung.
Die Gotteslästerer, zu denen auch die gehören, welche „die Jung¬
frau Maria schänden", sollen an „Leib, Leben und Gliedern" gestraft
werden. Ebenso konnten nur die grausamsten Strafen die Verbrechen
gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit sühnen. Dem Mörder drohte
die Strafe des Rades, dem bloßen Totschläger die Strafe des
Schwertes. Für Kindesmord war die gewöhnliche Strafe das Er¬
tränken, das Reißen mit glühenden Zangen, das Pfählen oder das
Lebendigbegraben. Einen bei nächtlicher Zeit ertappten Dieb durfte
man ungestraft töten. Kleine Diebstähle verwirkten Gefängnisstrafe,
Pranger, Landesverweisung oder lebenslängliche Bestrickung. Gefähr¬
liche oder wiederholte Diebstähle wurden beim Manne mit dem
Strange, beim Weibe mit Ertränken gestraft; doch konnte nach Be¬
schaffenheit des Falles auch eine geringere Strafe: Ausstechen der
Augen, Abhauen der Hand oder eine andere Leibesstrafe eintreten.
AIs ein hauptsächliches Beweismittel galt nach der Carolina für
den Richter die peinliche Frage (Tortur, Folter, Marter), d. i.
die Erregung körperlicher Schmerzen, um den Trotz leugnender An¬
geklagter zu brechen oder von ihnen eine bestimmte Aussage zu er¬
pressen. Die Tortur war eine willkommne Dienerin für den Haß,
die Rachgier, die Habsucht, den religiösen Fanatismus, den finsteren
Aberglauben und ein mit Wollust gepflegtes Kunsthandwerk ent¬
menschter Henkersknechte. Die gelindesten Mittel, Geständnisse zu er¬
zwingen, waren Peitschenhiebe bei ausgespanntem Körper, nebst
Daumen- und Zehenschrauben. Schlimmer wirkten die spanischen
Stiefel- oder Beinschrauben, das Ausrecken des Körpers mit rückwärts
ausgestreckten Armen auf einer Bank oder Leiter, die „pomnterfche
Mütze", die den Kopf zusammenpreßte, der „gespickte Hase", eine
Rolle mit stumpfen Spitzen, über welche der Gepeinigte auf und ab
gezogen wurde, der Halskragen, die Dornenkrone, das Ansetzen stechen¬
der Insekten oder hungriger Mäuse an den bloßen Leib, das Anfüllen
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