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Triften zahlreiche Herden Ziegen, Schafe und Kühe, und noch weiter
oben, wo nur niedres Knieholz die unfruchtbaren Berggehünge um¬
säumt und nur Beeren und Alpenrosen prangen — da haben das
Murmelthier und die Gemse ihre Heimat, da nisten die Berg-
und Schneehühner, da streifen der Marder und der Iltis, da würgt
der Adler und der Falke, da ist der Schauplatz für des Waidmanns
Lust und Gefahr. Diese Region ist auch die Geburtsstütte der
Gletscher, jener unermeßlichen Eisfelder, welche mit ihren unversieg¬
baren Quellen die Bäche und Flüsse speisen und so das Tiefland
bewässern und befruchten. Ganz oben aber ragen aus dem ewigen
Schnee die Gipfel der Alpen jäh in die Lust, jene schroffen nackten
Felsengrate und Hörner, an deren steilen Wänden kein Schnee und
kein Erdreich mehr hastet. Hier ist die Region der starrenden
Kälte und des Todes, über welche das Sonnenlicht an jedem hellen
Morgen und Abend sein Purpurgewand wirst. Diesen mannig¬
fachen Abstufungen des Bodens und Klimas entspricht auch eine
große Verschiedenheit in der Ertragsfähigkeit des Landes und in
der Ernährungsweise der Bevölkerung. Während im Ober-Engadin,
wo der eisige Winter neun Monate dauert und oft im Hochsommer-
Schnee fällt, die Viehzucht der einzige Nahrungszweig ist, und die
junge Kraft der Gebirgsbewohner in die Fremde geht, sitzt in den
anderen Thälern die Wohlhabenheit in lachenden Fluren und freut
sich beim eigenen Wein. Wo aber nicht eigner Boden nährt, da
nährt der Durchzug, mit welchem Verkehr und Reiselust die Straßen
beleben, oder die Industrie, die in manchen Gegenden besonders
als Hausindustrie große Ausdehnung gewonnen.
Unter den Zweigen der volkswirtschaftlichen Thätigkeit spielt
der Bergbau die geringste Rolle. Ebenso kann der Landbau, durch
die gebirgige Bodenbeschaffenheit und das rauhe Klima beschränkt, nicht
die genügende Menge von Getreide liefern. Die Viehzucht dagegen
steht, durch den Reichtum an fetten Weiden begünstigt, in großer
Blüte, dennoch reicht sie nicht ganz für den Bedarf, denn die Ein¬
fuhr übersteigt die Ausfuhr, sowie auch der Import an Butter und
Schmalz den Export übertrifft. Dies Mißverhältnis rührt von der
Fahrikation der Fettkäse her. Hierin nimmt die Schweiz eine aus¬
gezeichnete Stellung ein. Die Ausfuhr von Fettkäse beläuft sich
auf nahezu 400,000 Centner oder 20 Millionen kg. Der berühmteste
Käse wird im Saanen-, Emmen-, Maderaner- und Urserenthal
produziert.
In der Industrie hat sich die Schweiz in neuerer Zeit
mächtig emporgeschwungen und reiht sich in einzelnen Zweigen den
ersten Fnbrikländern an; hauptsächlich ist dies in der Baumwoll-,
Seiden-, Uhren-, Schmuckwaren- und Maschinenindustrie der Fall.
Die Baumwvllindustrie hat ihren Hauptsitz in den Kantonen Zürich,
Zug, Glarus, Thurgau; die Musselinfabrikation in Appenzell und
St. Gallen; die Seidenindustrie in Basel und Zürich. In der
Uhrensabrikation behaupten insbesondere Genf, La Chaux de Fonds
Lesebuch s. gewerbl. Fortbildungsschulen. 13