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Freiheit des Vaterlandes und viele kehrten, mit Ehrenzeichen geschmückt, aus
den blutigen Schlachten zurück. Kaum waren die Kriege beendet und Napoleon
gestürzt, so begann die Reaction auch hinsichtlich der Juden. So sehr auch die
Vertreter Oesterreichs und Preussens, die von dem einflussreichen M. A. von
Rothschild und der hochherzigen Baronin Fanny von Arnstein den Juden
günstig gestimmten Minister Metternich und Hardenberg, bemüht waren, auf dem
wiener Congress den deutschen Juden ihre Rechte zu sichern, so scheiterten doch
ihre Anstrengungen an dem Widerstande Baierns und Sachsens. In Hannover,
Braunschweig, Hessen, in den freien Reichsstädten wurden sie der Gleichstellung
wieder beraubt; Lübeck und Bremen verwiesen sie sogar rücksichtslos aus ihren
Mauern. Friedrich Wilhelm HI. hob das Gesetz von 1812 wieder auf und erliess
in den verschiedenen Provinzen seines Königreichs viele die Juden beschränkende
Gesetze. Judenfeindliche Schriftsteller fachten den alten Hass wieder an und
der Widerwille gegen die Juden nahm seit 1818 in ganz Deutschland derart zu,
dass es alsbald zu Judenhetzen kam. Das Signal wurde diesmal in Würzburg
gegeben; am 2. August 1819 brach hier ein Tumult aus, und die Juden waren
gezwungen, die Stadt zu verlassen. In ganz Franken gab es blutige Scenen;
in Frankfurt, Darmstadt, Karlsruhe, Heidelberg, in Hamburg, Güstrow, überall
bis nach Kopenhagen und Danzig rottete sich unter dem Rufe Hep-Hep (Hiero-
solyma est perdita) der Pöbel gegen die Juden zusammen. Gebildete Juden, wie
Jakob Weil in Frankfurt, Gotthold Salomon, der spätere Prediger in Ham¬
burg, und vorurtheilsfreie Christen, wie der Dichter Julius von Voss, der
greise reformirte Geistliche Ewald in Karlsruhe, August Krämer in Regens¬
burg, suchten allerdings die gemeinen Anschuldigungen, wie sie die Judenfeinde
Rühs, Fries, Hundt-Radowsky erhoben, zurückzuweisen; aber was half’s?
die Juden waren recht- und machtlos.
Die deutschen Juden mussten ihre Gleichstellung mühsam erkämpfen. Dieser
Emancipations-Kampf, der auch gegenwärtig noch nicht völlig beendet ist,
hat eine reiche Literatur geschaffen. Einer der ersten Vorkämpfer der Eman¬
cipation war Gabriel Riesser, der, geb. in Hamburg 1806, gest. 1863, ein
Enkel des hamburger Oberrabbiners Raphael Kohen, für das Rechtsstudium be¬
stimmt wurde. Angefeuert durch die freiheitliche Bewegung, welche die Juli¬
revolution des Jahres 1830 auch in Deutschland hervorgerufen, erhob er seine
Stimme für die Rechte seiner Glaubensgenossen. Um die Judenfrage, welche in
den verschiedenen Staaten 1831 wieder zur Berathung gelangte, recht in Fluss
zu bringen, gründete er die Zeitschrift „Der Jude“. Blätter für Religion und
Gewissensfreiheit“, in der er von seinen Glaubensgenossen den Stolz des Selbst¬
gefühls und von den Völkern die Gleichheit der Rechte forderte. Das erste
glückliche Resultat für die rechtliche Stellung der Juden bot Kurhessen, wo
die völlige Emancipation am 29. October 1833 ausgesprochen wurde. Von ge¬
ringem Erfolge waren seine Bemühungen in Baden, wo man auf den judenfeind¬
lichen Theologen Paulus mehr als auf den ihn bekämpfenden Riesser hörte.
Immer rüstig verfocht er die Sache seiner Glaubensgenossen sowol gegen Paulus,
Streckfuss, Bruno Bauer u. A., als auch 1848 in der deutschen Nationalversammlung
in Frankfurt, deren Vicepräsident er einige Zeit war.
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