Full text: Handbuch der Israelitischen Geschichte von der Zeit des Bibel-Abschlusses bis zur Gegenwart

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zugeben und Erwartungen von höherm Glück zu nähren; aber endlich verzweifeln 
die Menschen daran, dass sie fähig seien, auf natürlichem Wege, durch Verstand 
und Thätigkeit, die Zustände zu verbessern, und hoffen auf einen Retter mit 
höherer Macht. So führte auch das Elend der Zeit viele Juden zu der Hoffnung 
auf die Ankunft eines Messias. Mehrere Schwärmer traten auf, die sich für 
den Messias ausgaben, sie waren aber nicht im Stande, sich einen Anhang zu ver¬ 
schaffen; besser glückte es Jesus von Nazareth, dem Sohne des Zimmermanns 
Joseph und der Mirjam oder Maria. Sein freundliches Wesen, seine Milde und banft- 
muth verschafften ihm viele Anhänger, namentlich unter den niedern Yolksclassen 
und bei den leichtgläubigen Weibern, die um so treuer an ihm hingen, je er¬ 
bitterter seine Gegner ihn hassten. Er hatte es nicht, wie seine Schüler und 
Jünger, die Apostel, auf einen Umsturz des Judenthums abgesehen, er tadelte nur 
die Strenge der Pharisäer und setzte sich über einzelne Vorschriften, die ihm 
nicht bedeutend genug schienen, hinweg; erst später gab er sich für den Messias 
und den König der Juden aus und lehnte sich somit gegen die staatliche Ord¬ 
nung und den römischen Kaiser auf, sodass er von den Römern zum Tode ver- 
urtheilt wurde (33). Sein Auftreten trug wesentlich dazu bei, dass viele Heiden 
den einzigen Gott bekannten, wie denn auch viele derselben zum Judenthum 
sich bekehrten. 
Diesem in seinem Anfänge unscheinbaren Ereignisse, das später als Christen¬ 
thum von welthistorischer Bedeutung wurde, steuerten die Pharisäer kräftig ent¬ 
gegen. Mit besonderm Eifer für die Erhaltung des Judenthums und seiner 
Lehre wirkten in dieser Zeit die beiden Vorsitzenden des Synhednon, Hillel 
und Schammai, beide Schüler der genannten Schemaja und Abtalion. Wol 
selten waren Männer entgegengesetztem Charakters zu gemeinschaftlicher Thätig¬ 
keit berufen. 
Hillel, ein Babylonier, kam in frühem Alter nach Jerusalem und hatte mit 
Noth und Armuth zu kämpfen. Seine Liebe zum Studium des Gesetzes war so gross, 
dass, als er einmal dem Thürhüter des Lehrhauses die Eintrittsgebühr nicht entrichten 
konnte, er mit Lebensgefahr das Dach desselben erkletterte, um dort dem Vortrage 
der Lehrer zu lauschen. Hier fand man ihn den folgenden Morgen vor Kälte er¬ 
starrt und fast leblos. Hillel erwarb sich tiefe und ausgebreitete Kenntnisse, 
erlangte bald den Gelehrtentitel und später die Würde eines Nasi (Fürst). Ver¬ 
ehrt wegen seiner Gelehrsamkeit, war er bei dem Volke beliebt wegen seines 
Charakters; er war ein Muster von Sanftmuth, Milde und Bescheidenheit. Zwei 
Personen gingen eine Wette ein, indem der Eine behauptete, er werde Hillel zum 
Zorn reizen. Er ging zu ihm, es war kurz vor Eintritt des Sabbats als er gerade 
im Bade war, dreimal hintereinander, und legte ihm die närrischsten Fragen vor. 
Hillel trat heraus und gab ihm Antwort, immer in derselben gelassenen Weise. 
Als der Wettende zum dritten male seinen Versuch gescheitert sah, da sprach er 
heftig: „Wie Du bist, mögen nicht viele sein in Israel“! „Warum, mein Sohn“? 
fragte Hillel. „Nun, ich habe durch Dich eine grosse Wette verloren“. „Verliere 
Du lieber Deine Wette, als ich meine Ruhe und Ergebung“, sprach Hillel. Pro- 
selyten wandten sich sowohl an ihn als an Schammai. Einst kam ein Proselyt 
zu Schammai und sprach: „Ich will in das Judenthum eintreten unter der Be- 
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