55
die sie an einem verzierten Bügel am Halse (ragen, von dem Schalle
der langen, hölzernen Schalmeien, welche die Hirten lustig blasen, und
dem fröhlichen Gesänge von Mann und Weib, Kind und Gesind, welche
den Zug nach dem Hochgebirge begleiten. Hier bleiben sie nun vierzehn
bis fünfzehn Wochen, und den Kühen mag es bei dem duftigen Grase
und Kraute der Wiesen und in der frischen, freien Bergesluft gar wohl
gefallen. Zum Danke geben sie ihren Führern Tag für Tag die treff¬
lichste Milch, und diese haben vollauf zu thun, daraus Butter und Käse
zu bereiten, die sie teils selber verbrauchen, teils an die Leute im Thäte
verkaufen. Besonders schön sind die runden Koppenkäse, denen etwas
Majoran, Thymian, Bergsalbei rc. beigemischt wird.
Aber die gute Zeit ist nur zu bald vorüber. Schon der Herbst
bringt sehr frühe Frost und Schneegestöber, und im Winter werden die
Bauden oft ganz eingeschneit, so daß die Leute nicht durch Thür und Fenster
aus dem Hause können, sondern sich durch die Dachluken oder den Schorn¬
stein mit Schaufel und Spaten einen Ausweg suchen müssen. Von den
Thalbewohnern sind sie Wochen, ja Monate lang wie abgeschnitten. Die
Richtung der gewöhnlichen Wege wird durch aufgesteckte lange Stangen
bezeichnet. Wenn eins von der Familie in dieser Zeit stirbt, muß man
die Leiche im Schnee aufbewahren, bis das Tauwetter es möglich
macht, sie in das Thal auf den Kirchhof zu bringen.
Manchmal bringt der Schnee auch Schneestürze (Lawinen), doch
nicht so häufig und nicht so schrecklich wie in den Alpen. Die Leute
wissen übrigens aus langer Erfahrung die Stellen an den steilen Ab¬
hängen, wo solche Schneestürze am meisten vorkommen, und hüten sich,
an solchen Stetten sich anzubauen. Ein Hauptvergnügen ist für groß
und klein in der Winterzeit, auf kleinen Handschlitten die steilen Berg¬
abhänge hinabzufahren; aber wer sich nicht aufs Lenken versteht mit
Hand und Fuß und nicht ein wenig Mut hat, der soll solche kühnen,
schnellen Fahrten wohl bleiben lassen oder wird sie übel bezahlen
müssen.
Im Sommer ist das Wetter im Gebirge äußerst wechselhaft; bald
der heiterste Sonnenschein, auf einmal Stürme von Nord und Süd,
daß einem Hören und Sehen vergeht; dann plötzliche Nebelwolken, die,
vom Winde in jäher Eile und mit schauerlichem Sausen dahergetrieben,
alles bis auf die Gipfel in einen dichten Schleier hüllen, und auf ein¬
mal zerreißt der Schleier, und an einer Stelle blickt die Sonne freund¬
lich hindurch; jetzt alles ruhig und klar, und ehe man sich's versieht, die
heftigsten Regengüsse oder Gewitter mit furchtbarem Donner und Blitz,
die in dem Gebirge und auf den Höhen noch ganz anders hausen als